Nr. 1
Porträt von Ökonom Johannes Haushofer

Dr. Johannes Haushofer über Armutsforschung

In mehreren Studien hat Johannes die Auswirkungen bedingungsloser Geldtransfers an Menschen in extremer Armut von der NGO GiveDirectly untersucht. Außerdem ging es im Gespräch um psychologische Merkmale von Menschen in extremer Armut und um ethische Aspekte randomisierter, kontrollierter Studien.

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In Folge 1 habe ich mit Dr. Johannes Haushofer geredet. Johannes ist Ökonom und arbeitet als Associate Professor in der Wirtschaftswissenschaft an der Universität Stockholm. Er forscht zu verschiedenen Aspekten von Armut: In mehreren Studien hat er etwa die Auswirkungen bedingungsloser Geldtransfers an Menschen in extremer Armut vor allem in Kenia von der bekannten NGO GiveDirectly untersucht. Wie viele andere Forschende kam er zu dem Ergebnis, dass diese Geldtransfers sehr positive Auswirkungen in verschiedenen Lebensbereichen haben können - dennoch widmet Johannes sich aktuell in seiner Arbeit einem komplett anderem Versuch der Armutsverringerung. Außerdem ging es in der Podcast-Folge um psychologische Merkmale von Menschen in extremer Armut und um ethische Aspekte von randomisierten, kontrollierten Studien.

Was wir erwähnt haben:

Was Johannes empfiehlt:

Weiterführende Lesetipps:

  • Evaluation der unabhängigen Expert*innen von GiveWell zu GiveDirectly
  • Neues Buch von Duflo/Banerjee: Good Economics for Hard Times. Sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können
  • Rutger Bregman: Utopien für Realisten (mit Kapitel zu Geldtransfers und GiveDirectly)

Die Themen

Psychologische Folgen von Armut
(ab Min. 00:05:28 )

  • Armut steht in starkem Zusammenhang mit negativen psychischen Folgen wie Stress und Depressionen: "Arme Leute, da gibt's inzwischen ziemlich viele Daten drüber, leben eben nicht, wie man sich vielleicht landläufig gerne vorstellt, so ein simples, glückliches Leben, sondern: Wenn man kein Geld hat, dann ist es psychologisch sehr belastend und kann sehr unglücklich machen."
    Mehr dazu in Johannes' Paper "On the Psychology of Poverty" und im Buch Poor Economics von Esther Duflo und Abhijit Banerjee.
  • Auch finanzielle Entscheidungen können dadurch beeinflusst werden - der Zusammenhang ist allerdings weniger klar. Zwar können klinische Depressionen wohl dazu führen, dass Aufgaben des Alltags weniger leicht gelingen, was wiederum Armut verstärken kann; zum Beispiel die Schwierigkeit, der Lohnarbeit nachzugehen. Weniger klar ist aber offenbar der Zusammenhang zwischen dem Leben in Armut und konkreten finanziellen Entscheidungen, die sich nachteilig auf das Einkommen auswirken können wie etwa Risikoaversion: "Diese Effekte, die gibt's schon. Also wenn Leute gestresst sind, dann sind sie tatsächlich risikoscheu und sie sind tatsächlich ein bisschen ungeduldiger. Aber die sind nicht so wahnsinnig groß, die sind nicht so super stabil. Sie tauchen manchmal auf in den Experimenten, manchmal nicht. Und es wurde noch ganz selten gezeigt, dass die wirklich im Alltag eine Konsequenz haben, während die Alltagskonsequenzen von Depressionen Psychiatern seit Jahrzehnten vertraut sind. Und die haben oft ökonomische Implikationen."
  • Zusammenhang zwischen Einkommen eines Landes und mentaler Gesundheit der Bewohner*innen: "Ja, den Zusammenhang gibt's und er ist ziemlich stark. Und das ist auch etwas, was man vielleicht landläufig nicht so oft hört. Oder man hört sogar vielleicht teilweise gegenläufiges, nämlich, dass Geld nicht glücklich macht. Und in allen Datensätzen, die ich kenne, ist das Gegenteil der Fall. Also die Länder, die höheres Einkommen haben, sind tatsächlich im Durchschnitt glücklicher, haben niedrigere Depressionen als andere. Und das gilt sowohl innerhalb von Ländern als auch über die Länder hinweg. Also reichere Leute innerhalb eines Landes haben weniger Depressionen und sind glücklicher als andere Leute und reichere Länder ebenso."
    Mehr dazu in diesem Paper.

Bedingungslose Geldtransfers
(ab Min. 00:25:48 )

Johannes hat in mehreren Studien die Auswirkungen bedingungsloser Geldtransfers auf verschiedene Bereiche des Lebens untersucht. Im Interview geht es um seine Studien zu den Geldtransfers in Kenia der bekannten NGO GiveDirectly an Menschen in extremer Armut.

  • "Es gab da damals noch relativ viele Vorurteile, dass Geldtransfers die Leute vom Arbeiten abhalten würde und dass die Leute anfangen würden zu trinken und zu rauchen, dass es zu Konflikt führen würde und das ist alles nicht passiert. Sondern die Leute, die haben dieses Geld größtenteils ziemlich schlau investiert und hatten dadurch höhere Einkommen. Sie haben das beispielsweise in Kühe gesteckt. Die Kühe geben dann Milch und die Milch kann man verkaufen und dadurch hat man höheres Einkommen. Oder sie haben Inventar gekauft für einen kleinen Kiosk, den sie betreiben. Und dadurch hatten sie ein höheres Einkommen. Das wiederum führte zu einem Zuwachs an beispielsweise Nahrungssicherheit, also sie litten weniger Hunger als vorher, was vorher ein ziemlich großes Problem war. Also danach immer noch, aber ein bisschen weniger. Der Alkoholkonsum nahm nicht zu. Sie haben auch nicht weniger gearbeitet und es gab auch nicht mehr Konflikte, sondern weniger. Häusliche Gewalt nahm ziemlich stark ab. Männer haben ihre Frauen weniger geschlagen und weniger vergewaltigt. Es hat relativ gut funktioniert. Und vielleicht davon ausgehend erklärt sich dann, warum auch das psychologische Wohlbefinden sehr stark angestiegen ist. Sie waren viel glücklicher, nachdem sie das Geld bekommen haben und hatten weniger Depressionen."
  • "Wie lange die halten, das ist auch noch nicht ganz klar bzw. die Evidenz, die da momentan reinkommt, ist eher ein bisschen ernüchternd. Den Leuten geht's echt wahnsinnig viel besser für die ersten paar Jahre und dann werden die Effekte schon kleiner. Wobei man da auch aufpassen muss, dass man nicht unfair ist, denn es gibt wenige Interventionen, die tatsächlich über lange Zeiträume untersucht sind. Nur darf man jetzt auch keinen anderen Maßstab anlegen an Geldtransfers als an andere Interventionen."
  • "So sehr ich diese Geldtransfers zu schätzen weiß, so sehr bin ich doch ein bisschen frustriert davon, weil eben die Ergebnisse zwar positiv, aber jetzt nicht transformativ sind. Ich möchte ja nicht, dass jemand in Kenia von einem Dollar am Tag auf 1,30 am Tag kommt, obwohl das super ist. Sondern ich möchte, dass jemand von einem Dollar am Tag auf ein europäisches Mittelklasseeinkommen kommt. Das ist mein Ziel. Deswegen mache ich das ganze - und Geldtransfers sind wahrscheinlich nicht der Weg dahin oder sind zumindest ein sehr langer Weg dahin."
  • Johannes' Papers zu GiveDirectly findet ihr zum Beispiel hier und hier.
  • Die Organisation GiveDirectly wird auch von den unabhängigen Expert*innen von GiveWell.org empfohlen, die zahlreiche NGOs untersuchen und besonders kosteneffektive Organisationen empfehlen. Hier der gesamte Berichtvon GiveWell zu GiveDirectly mit zahlreichen Verweisen auf Johannes' Forschung: https://www.givewell.org/charities/give-directly

Ethische Aspekte von randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs)
(ab Min. 00:47:25)

RCTs können erstmal befremdlich klingen: Experimente an Menschen. Johannes erläutert, wie ethische Qualitätssicherung funktionieren kann und welche Probleme dennoch auftreten können:

  • "Zunächst einmal ist natürlich zu sagen, dass alle diese Studien durch nicht eine, sondern mehrere Ethikkommissionen müssen, bevor sie durchgeführt werden müssen. Und zwar nicht zuletzt die Ethikkommissionen vor Ort. Ich denke, es ist super wichtig, dass man sich dieser Prüfung aussetzt. Das muss man natürlich - aber man sollte das auch. Damit die Forschung auch vor Ort abgesegnet ist und nicht nur nach deutschen oder schwedischen oder amerikanischen Standards ethisch ist; sondern eben auch nach kenianischen oder afghanischen - oder wo man eben die Forschung durchführt. Das finde ich super wichtig."
  • "NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen und Regierungen führen ständig Interventionen durch und die meisten werden nicht evaluiert mit Forschungsbeteiligung. Und bei all diesen Interventionen gibt's insofern eine Kontrollgruppe, als in den meisten Fällen die Mittel begrenzt sind und man nicht allen Leuten helfen kann. Was wir eben jetzt zusätzlich machen, ist, dass wir sagen: Wenn ihr ohnehin schon die Intervention macht und wenn ohnehin schon nicht alle davon profitieren können, dann sollten wir zumindest noch rausfinden, was denn damit eigentlich bewirkt wird. Und diese Trennung der Intervention von der Forschung macht es einerseits möglich, zu sehen, dass die Forschung ethisch viel unproblematischer ist. Weil es da eigentlich nur um den Fragebogen geht. Die Leute werden kompensiert für die Zeit, die sie darauf verwenden, den Fragebogen auszufüllen. Und andererseits, um zu sehen, dass es vielleicht sogar unethisch ist, wenn man diese Forschung nicht macht. Es gibt so viele Interventionen, die ständig eingesetzt werden in der ganzen Welt, von denen wir überhaupt nicht wissen, ob sie überhaupt sinnvoll sind, dass ich es ethisch problematisch finde, da Geld rein zu stecken. Ich finde, die Beweislast liegt eher auf der Seite derjenigen, die sagen: Wir sollten bestimmte Interventionen unternehmen - ohne eigentlich zu wissen, was sie damit anrichten."
  • "Da gibt's tatsächlich Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass, wenn der Nachbar Geld bekommt, dass es dann für die Nachbarn unangenehm ist. Andererseits haben wir auch Daten, die zeigen, dass, wenn der Nachbar Geld bekommt, dass es dann dem ganzen Dorf bessergeht, weil das Geld in der Tasche des Nachbarn dann Geld in der Tasche von jemand anderem wird. So pflanzt sich das fort. Da haben wir in verschiedenen Studien unterschiedliche Ergebnisse gefunden. Teilweise geht es den Nachbarn tatsächlich besser, wenn der Nachbar Geld bekommt, weil dann das ganze Dorf quasi ein bisschen nach oben geschoben wird. Das heißt, das ist einerseits womöglich sehr problematisch . Andererseits ist noch relativ unbekannt, was da tatsächlich passiert. Da müssen wir noch mehr lernen, was man machen dürfen sollte und was nicht."

Bonus

Welche Maßnahmen Johannes für vielversprechende Kandidaten in der Armutsbekämpfung hält:

  • "Das eine ist: Es gibt Programme, in denen Leute ein Gut bekommen, ein sogenanntes Asset, wie beispielsweise eine Kuh oder ein Fahrrad oder eine Nähmaschine. Das dürfen sie sich aus einer Liste aussuchen. Damit können sie dann ein kleines Unternehmen aufbauen und sie erhalten ein bisschen Geld und ein bisschen Training. Und damit, das ist der Gedanke, kann man sein Einkommen erhöhen. Brac ist die NGO, die das in Bangladesch zum ersten Mal angewendet hat."
  • Johannes selbst schaut sich mit Malengo die möglicherweise sehr positiven Auswirkungen von der Kombi aus Bildung und Migration an: "Momentan ist meine Hoffnung, dass man, wenn man Bildung mit Migration kombiniert, sehr hohe Erträge erzielen kann. Ich interessiere mich momentan dafür, wie man ugandischen High-School-Absolventen ein Studium in Deutschland ermöglichen kann. Da verspreche ich mir Erträge, die noch viel höher sind, weil Migration wahnsinnig hohe Effekte auf Einkommen hat. Die durchschnittlichen Unterschiede im Einkommen eines ugandischen High-School-Abgängers und eines deutschen Bachelorabsolventen bewegen sich um den Faktor 30. Also 3000 Prozent, nicht 30! Da ist momentan meine Hoffnung, dass man das nutzbar machen kann für Armutsverringerung."
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