Nr. 5
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Dr. Caspar Kaiser über Glück und Zufriedenheit

Caspar arbeitet als Forscher beim Wellbeing Research Center und dem Institute for New Economic Thinking der Universität Oxford. Er beschäftigt sich mit Glück und Zufriedenheit. Wie lässt sich das messen? Wie können Menschen weltweit glücklicher werden? Welche Rolle spielt Geld dabei?

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In Folge 5 habe ich mit Dr. Caspar Kaiser geredet. Caspar erforscht in Oxford, wie Glück und Lebenszufriedenheit gemessen und gesteigert werden können. Wir reden darüber, was glücklich macht, ob Menschen sich an mehr Geld gewöhnen und was das Bruttoinlandsprodukt eines Landes mit dem Wohlbefinden seiner Bewohner*innen zu tun hat.

Was wir erwähnt haben:

Die Themen

Was macht Menschen glücklich?

  • "Typischerweise sind Leute, die in einer stabilen Partnerschaft sind, zufriedener mit ihrem Leben. Das gilt auch für Menschen, die einen Job haben, also nicht arbeitslos sind. Allgemein steigt die Lebenszufriedenheit ungefähr mit dem Logarithmus von Einkommen. Menschen, die eine Religion haben, sind typischerweise zufriedener mit ihrem Leben. Und dann ist eine sehr wichtige Sache das eigene Alter, wo es so ist, dass über den Lebensverlauf hinweg die Lebenszufriedenheit mit dem Alter sich wie mit einem U entwickelt, dass Menschen so um 20 herum sehr zufrieden mit ihrem Leben sind. Und dann fällt die Lebenszufriedenheit relativ steil ab, bis etwa Mitte 40 und steigt dann wieder bis um die 80 - und dann fällt sie wieder, bevor man dann leider stirbt. Und dieses Pattern existiert nahezu global und für sowohl Männer als auch Frauen."
  • Wie gut Menschen ihr eigenes Glück einschätzen können: "In einem Kontext, der nicht in einer Umfrage ist, verstehen wir die Frage nach dem Glück des anderen. Also wenn ich dich frage: Wie glücklich bist du? Und du sagst mir: Ja, ich bin schon glücklich. Dann haben wir uns verstanden. Das heißt, wenn ich Leute in einem Umfragekontext danach frage, wie glücklich sind sie und sie eine höhere Zahl geben eher als eine niedrigere Zahl, dann ist es von vornherein schon auf Basis dessen, dass Menschen typischerweise Sprache verstehen und verwenden können, zu erwarten, dass eine höhere Zahl, ein höheres Glückslevel impliziert. [...] Wenn ich dich jetzt nach deiner Lebenszufriedenheit frage, du gibst eine bestimmte Zahl, dann korreliert diese Zahl sehr stark mit der Zahl, die Leute geben würden, die dich kennen. Also wenn ich Freunde oder Familie von dir frage: Wie zufrieden ist denn die Sarah mit ihrem Leben? Dann wird die Zahl, die diese Menschen geben, relativ stark mit deiner eigenen Zahl korrelieren. Dritte Art von Evidenz: Die Antworten von Menschen über ihre Zufriedenheit mit bestimmten Aspekten in ihrem Leben, korrelieren stark damit, wie sie sich im nächsten Jahr verhalten werden. Also, wenn ich sage, dass ich unzufrieden bin mit meinem Job heute, dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ höher im nächsten Jahr meinen Job zu verlassen. Wenn ich sage, dass ich unzufrieden bin mit meiner Partnerschaft, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich im nächsten Jahr nicht mehr mit meiner Partnerin zusammen bin."

Macht Geld glücklich? (Ja!)

  • "Geld macht glücklich. Geld macht glücklich, wenn man als Einzelperson erst weniger Geld hatte und dann mehr Geld bekommt, dann im Durchschnitt werden die Menschen glücklicher und sie werden glücklicher und zufriedener mit ihrem Leben, je mehr Geld sie haben. Und es scheint auf der individuellen Ebene keine offensichtliche Grenze dafür zu geben."
  • Was ist dann mit der häufig zu lesenden Grenze von etwa 60.000 Dollar pro Jahr, nach der Menschen angeblich nicht mehr glücklicher werden mit mehr Geld? "In vielen Umfragen existieren relativ wenige Menschen, die Einkommen über diese Werte hinaus haben. Das heißt, Einschätzungen darüber, ob Menschen weiterhin zufriedener werden, sind schwierig, weil man einfach wenig statistische Power in solchen Fällen hat. Das heißt, Aussagen von der Form "ab 100.000 wird man nicht mehr zufriedener" sind ein bisschen schwierig so im Allgemeinen zu sagen. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass es so ein bisschen ambig ist, was dort dann gemeint wird, weil ein Einkommen von mehr als 100.000 Dollar oder Euro im Jahr zu generieren ist mit psychischen Kosten verbunden, man muss sehr viel arbeiten, man hat sehr viel Stress et cetera. Möchte man jetzt diese diese Kosten herausrechnen oder nicht? Typischerweise werden sie nicht herausgerechnet, was dazu führt, dass die negativen Effekte davon, dass man halt größeren Stress im Job hat und höhere Arbeitszeiten zu einem immer stärker werdenden negativen Effekt führen. So dass wenn man dann um 100.000 Euro kommt, diese Aspekte dominieren. Könnte man jetzt einfach sein Einkommen von 100.000 Euro auf 200.000 Euro verdoppeln, ohne dass man dafür jetzt härter oder mehr arbeiten müsste oder anderweitig größere Opfer bringen müsste. Dann würde ich mal schwer annehmen, dass dann auch weiterhin die Zufriedenheit steigen wird. Aber wir wissen es nicht, einfach weil es sehr schwierig ist, solche Fälle zu beobachten."

Das Easterlin Paradox - sind reiche Länder glücklicher und macht Reichtum Bevölkerungen glücklicher?

Der Ökonom Richard Easterlin (*1926) hat erstmals in den 70er Jahren das nach ihm benannte Paradox formuliert: Demnach sind reichere Länder tendenziell glücklicher als ärmere Länder und reichere Menschen innerhalb eines Landes glücklicher als ärmere Menschen - aber wenn Länder reicher werden (also ihr Bruttoinlandsprodukt oder Gross Domestic Product - GDP - steigt), steigt ihr Wohlbefinden nicht. Wenn es stimmen würde, könnte das interessante Auswirkungen auf politische Entscheidungen haben: Aktuell sind viele ÖkonomInnen stark am Wirtschaftswachstum interessiert. Wenn nun aber andere Dinge Menschen glücklich machen wie zum Beispiel die Stärkung von Sozialleistungen, sollten politische Anstrengungen mehr als bisher in diese Richtung gehen. Es gibt aber auch einiges an Kritik am Easterlin Paradox.

  • Woran könnte das Easterlin Paradox begründet liegen?
    "Der erste Ansatz ist einfach soziale Vergleiche - dass der positive Effekt, den ich dadurch generiere, ein höheres Einkommen zu haben, vom negativen Effekt, dass andere ein höheres Einkommen haben, genau aufgewogen wird, sodass wenn die Einkommen aller steigen, niemand glücklicher wird. Das sind die sozialen Referenz-Effekte.
    Zweiter Gedanke ist, dass es
    nur einen kurzfristigen positiven Effekt von höheren Einkommen gibt, also mein Einkommen steigt heute; ich bin für ein Jahr lang zufriedener mit meinem Leben, aber im Jahr drauf fange ich schon an wieder auf meine Baseline zurückzukehren. Und im dritten Jahr bin ich dann wieder auf Null. Also auf dem originalen Wert angelangt, dass ich mich quasi daran gewöhnt habe, ein höheres Einkommen zu haben. Das ist der zweite Erklärungsansatz.
    Der dritte Erklärungsansatz ist, dass es vielleicht einen asymmetrischen Effekt von positiven Veränderungen im Einkommen und negativen Veränderungen im Einkommen gibt. Und insofern, als das typischerweise GDP per capita sich so verhält, dass es für längere Zeit positives Wachstum gibt und dann in ein paar wenigen Momenten negatives Wachstum, dass die großen negativen Effekte von Rezessionen, also negativem Wachstum, die kleinen positiven, aber häufiger vorkommenden Effekte von positivem Wachstum aufwiegen. Dass quasi: the gains are less positive than the losses. Das sind so die drei Optionen."
  • Kritik am Easterlin Paradox: "2008 kam ein wirklich beeindruckend großes und detailliertes Paper von Stevenson und Wolfers, Justin Wolfers und Betsy Stevenson, heraus, wo sie quasi alle Daten nahmen, die so existierten zu der Zeit und überzeugend zeigen konnten, dass im Querschnitt Lebenszufriedenheit und Bruttosozialprodukt zwischen Ländern ganz klar positiv miteinander korrelieren."
  • "Du kannst dir vorstellen, es gibt zwei verschiedene Effekte. Es gibt einen kurzfristigen positiven Effekt davon, dass ich jetzt einen Gewinn gemacht habe und der hat irgendwie einen kurzfristigen Effekt über ein paar Jahre. Und wenn er sich immer wiederholt in einer Boom-Periode hast du immer wieder neuen kurzfristigen Effekt. Und dann gibt es einen einen langfristigen Effekt, der aber komplett dominiert ist von sozialen Vergleichs-Effekten. Also man kann das schon konsistent machen, diesen Gedanken von kurzfristigen positiven Effekten, quasi Deviations from a Trend. Und dem Dominieren von Referenz-Effekten. Aber man muss dann schon ein bisschen intellektuelle Akrobatik bereit sein zu machen, um in diesen Gedanken einzukaufen. Buy into it. Ja, deswegen ich bin so ein bisschen skeptisch. In dem Artikel, den wir geschrieben haben, kamen wir zu dem Schluss, dass das Paradox für reiche westliche oder nordeuropäische Länder bestätigt ist, aber nicht für osteuropäische Länder, die nach dem Fall der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt eben eine schwere Rezession hatten und dann nach oben kamen und für südeuropäische Länder wie Spanien, Italien und Griechenland. So, zu dem Schluss kamen wir, dass es auf die Länder ankommt. Das ist nicht der Schluss, den Richard Easterlin zieht. In seinem 2020er Paper sagt er: Nee, es hält für alle Länder."

Affective Forecasting - das eigene Glück und das Glück anderer vorhersagen und einschätzen

  • "Worin sind Menschen sehr gut? Sie sind sehr gut darin, eine Vorhersage zu treffen darüber, in welche Richtung ihre Gefühle gehen werden. Also: Wird der Effekt der Trennung von meinem Partner positiv oder negativ sein? Darin sind Menschen sehr sehr gut. Worin sie aber schlecht sind, ist die Größe dieses Effekts. Und da wird typischerweise die Größe des Effekts überschätzt. Und sie sind sehr schlecht darin, die Dauer, mit der ein solcher Effekt anhält, einzuschätzen, die Dauer wird überschätzt. Worin sind sie auch schlecht? Die Größe eines Effekts in der Zukunft wird überschätzt. Aber: Je weiter ein zukünftiger Effekt in der Zukunft liegt, desto kleiner wird er eingeschätzt. Das heißt, angenommen, ich habe die Wahl zwischen einer Gehaltserhöhung nächsten Monat und einer Gehaltserhöhung in einem Jahr würde ich intuitiv den den positiven Effekt der Gehaltserhöhung in einem Monat als größer einschätzen, als den positiven Effekt einer Gehaltserhöhung in einem Jahr."
  • "Was sagen Leute eigentlich über ihre Zufriedenheit in der Vergangenheit? Und was sagen sie über Ihre Zufriedenheit in der Zukunft? Und was in der Studie herauskam war, dass Menschen allgemein die Vergangenheit als meistens schlechter als die Gegenwart empfinden und erwarten, dass die Zukunft besser sein wird als die Gegenwart und dass das relativ universell ist und ein relativ extremer Bias ist. Also wenn man sich anschaut, wie sich die Lebenszufriedenheit von Menschen über Zeit hinweg verändert - also man fragt eine Person, die 20 ist, dann wird diese Person typischerweise sagen: Ja, in fünf Jahren wird es mir besser gehen. Aber wir wissen ja bereits von der U-Shape, dass es im Durchschnitt einer 20-jährigen Person in fünf Jahren schlechter gehen wird. Das heißt, sie liegen typischerweise einfach falsch darin und erinnern sich falsch an ihre Vergangenheit und stellen falsche Erwartungen an die Zukunft. Interessanterweise ist es so, dass Menschen anscheinend mit der Zeit hinweg besser darin werden. Also diese Biase sind deutlich kleiner für ältere Menschen als jüngere Menschen. Wenn ich eine 70 Jahre alte Person frage, wird sie typischerweise relativ gut kalibrierte Antworten über die Vergangenheit und die Zukunft geben."
  • Wie gut und realistisch erinnern sich Menschen an ihre eigenen Gefühle? "Es scheint so, wenn Leute auf strukturierte Art und Weise herangeführt wird, sich an ihren letzten Tag zu erinnern, sie das sehr gut können und auch relativ gut darin sind, sich an ihre Emotionen zu erinnern. Aber sie wohl schlecht darin sind, ein aggregiertes Bild über ihre Vergangenheit zu geben. Oder dieses aggregierte Bild ein paar Biase hat genau so was wie zum Beispiel die Peak-end-Rule."
  • "Wenn du vorhast, dein Leben zu verändern, suche dir Leute, die eine ähnliche Entscheidung bereits getroffen haben und versuche, die Erfahrungen anderer, die tatsächlich schon eine solche Veränderung begangen haben, herauszufinden und dann danach zu handeln. Das ist der erste Gedanke, der zweite Gedanke: Wir tendieren immer dazu einen Bias gegen Veränderungen zu haben und allgemein scheint es so zu sein, dass, wenn wir das Gefühl haben, eine Veränderung in den Konditionen unseres Lebens versuchen hervorzubringen, wir es tun sollten."

Derek Parfits Theorien zum guten Leben

Der britische Moralphilosoph Derek Parfit behandelt in seinem ersten Buch "Reasons and Persons" (1984) verschiedene Themenbereiche von Bevölkerungsethik (population ethics) über eigene Identitätsfragen. In einem Anhang diskutiert Parfit außerdem, was ein Leben zu einem guten macht - "what makes someone's life go best".

Darin stellt Parfit drei Theorien auf:

  • Hedonistic Theories: "On Hedonistic Theories, what would be best for someone is what would make his life happiest."
  • Desire Fulfilment Theories: "On Desire-Fulfilment Theories, what would be best for someone is what, throughout his
    life, would best fulfil his desires."
  • Objective List Theories: "On Objective List Theories, certain things are good or bad for us, whether or not we want to have the good things, or to avoid the bad things."

Darüber habe ich mit Caspar geredet - denn wenn es um Glück und Zufriedenheit geht, kann es auch darum gehen: Was ist überhaupt ein gutes Leben?

  • "Stellen wir uns einen Serienmörder vor, dessen Wunsch es ist, Serienmörder zu sein; der Spaß daran hat, Serienmörder zu sein. Dann müssten wir auf Basis sowohl der Desire Fulfilment Theorie als auch der hedonistischen Theorie sagen, dass diese Person ein gutes Leben führt. Vielleicht nicht unabhängig von anderen Werten. Aber der Wert für diese Person selbst ist ein positiver. Und wir würden - manche jedenfalls von uns - die Reaktion haben: Nein, das stimmt nicht. Dieses Leben ist noch nicht mal gut für diese Person selbst und Objective List Theories geben halt die Antwort darauf, die dann sagt: Ja, aber diese Person schadet anderen. Und ein gutes Leben kann nur jenes sein, das anderen nicht schadet zum Beispiel. Oder das in wertvollen sozialen Verbindungen stattfindet, das vielleicht nicht in den Kontext von einem Serienmörder stattfinden kann."
  • "Zu Wohlbefinden und Werthaftigkeit im Allgemeinen sollte man vielleicht auch unterscheiden, dass man sich die Frage stellen kann: Okay, ist ein Leben jetzt gut oder ist ein Leben gut für die Person, die dieses Leben lebt und kann es einen Unterschied dazwischen geben? Wenn wir zurück zu unserem Serienmörder gehen, halte ich es für durchaus plausibel, dass dieses Leben gut für diese Person ist, aber es eben kein gutes Leben im Allgemeinen ist, eben weil sie anderen Menschen ganz offensichtlich schadet. Und jetzt gibt es verschiedene Theorien darüber, wie dieses "Gut für" und "Gut im Allgemeinen" zusammenpasst. Also gut für wird typischerweise auf Englisch prudential value genannt, und es ist separat von Moral value oder aesthetic value. Weil aesthetic value einfach der Wert ist, der dadurch entsteht, dass es Artefakte gibt, die schön sind oder die anderweitig ästhetischen Wert haben. Und man kann sich darüber streiten, ob Wert im Allgemeinen nur durch prudential value konstituiert wird oder ob es andere legitime Arten von Werthaftigkeit gibt und dass allgemeiner Wert irgendwie eine Kombination daraus ist.
  • "Die Sichtweise, dass nur prudential value in Wert im Allgemeinen hineinfließt, ist auf Englisch typischerweise welfarism genannt und ist die grundlegende Intuition für Utilitarismus. Aber es ist nicht die einzige Option. Es ist durchaus plausibel zu glauben, dass Wert auch durch Dinge entstehen kann, die nicht prudential value sind, wie zum Beispiel der Wert, der dadurch entsteht, dass Kunstwerke existieren und ästhetischen Wert generieren. Oder zum Beispiel Gerechtigkeit ist auch ein nicht-prudential value. Es ist kein Wert, der innerhalb von Personen liegt. Aber es ist durchaus möglich, dass es trotzdem ein Wert ist, der unabhängig existiert und wir gut daran täten, ihn in Existenz zu bringen."
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