Nr. 8
anemone_foto.jpg

Anemone Franz über Pandemieprävention

Spätestens seit dem Jahr 2020 ist wahrscheinlich so gut wie jedem Menschen weltweit klar: Pandemien richten großen Schaden an. Und dass es weitere Pandemien geben wird, ist ziemlich sicher. Wie das in Zukunft passieren könnte und wie wir uns auf weitere Pandemien vorbereiten könnten - damit beschäftigt sich Anemone Franz. Anemone ist Ärztin und hat zum Interview-Zeitpunkt beim Impfstartup Alvea in Boston gearbeitet.

Für anonymes Feedback zu dieser Folge hier entlang: https://forms.gle/NdU7Ad8JJHGjszCA9

In Folge 8 habe ich mich mit Anemone Franz unterhalten. Die Ärztin hat zum Zeitpunkt des Interviews bei dem Biotechnologie-Unternehmen Alvea gearbeitet. Wir haben über Biosicherheit und Pandemien gesprochen: Wie könnten künftige Pandemien enstehen - natürlich und menschengemachte? Wie können wir zunächst vorbeugen, sie im Zweifel wenigstens früh entdecken und im Pandemiefall schnell interventieren? Wir reden über das letzte bekannte Pockentodesopfer, Impfungen ohne Nadel und gutgemeinte, aber vielleicht dennoch riskante Forschung an Krankheitserregern.

Empfehlungen zum Thema:

  • Eine Leseliste zu "Biosecurity and Biorisk" aus dem Effektiven Altruismus Forum mit Empfehlungen zu Büchern, Podcasts und mehr
  • Der Hear This Idea Interview-Podcast, der mehrere Folgen zu Biosicherheit veröffentlicht hat
  • Das Buch "The Dead Hand" von David E. Hoffmann über das Wettrüsten im Kalten Krieg
  • Walter Isaacsons Buch über das Leben der Biochemikerin Jennifer Doudna

Die Themen

Natürliche Pandemien

  • Wir befinden uns am Ende einer Pandemie. Anemone macht darauf aufmerksam, dass die nächste natürliche Pandemie (zum Beispiel über eine Zoonose) sehr wahrscheinlich kommen wird.
  • "Grundsätzlich kann man sich einfach die letzten Jahrhunderte und Jahrtausende anschauen und wird sehen, dass in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen immer wieder Pandemien mit unterschiedlichen Ausmaßen aufgetaucht sind. Und deshalb gibt es einfach keinen Grund anzunehmen, dass es zu keinen weiteren natürlichen Pandemien kommen wird."

Sorge vor menschengemachten Pandemien - riskante Forschung?

  • Gefährlich können nicht nur natürliche Pandemien werden. Während die Forschung voranschreitet, eröffnet sie neue Möglichkeiten, aber auch mehr Wege, wie etwas schief gehen könnte.
  • Zum einen besteht die Gefahr, das pathogene Keime aus Laboren entweichen können. Dies war aller Vermutung nach bei der britischen Fotografin Janet Parker, dem letzten bekannten Pocken-Todesopfer. Sie starb 1978 an den Folgen einer Pocken-Infektion, die vermutlich durch Aerosole aus einem Labor zustande gekommen war.
  • Was mögliche Unfälle angeht, so geriet in den letzten Jahren besonders die sogenannte Gain of Function Research ("Funktionsgewinn-Forschung") in Kritik, bei der Forschende ohne schlechte Absicht neue Gefahrenquellen schaffen könnten. "Gain of Function Research wird generell in guter Absicht betrieben. Es geht darum, Krankheitserreger besser zu verstehen. Das Problem entsteht aber, wenn wir beispielsweise einen Erreger haben, der eigentlich nur Tiere infiziert konnte, aber jetzt auch Menschen infizieren kann. Das heißt, die Möglichkeit für eine Pandemie durch diesen Erreger, die vorher nicht gegeben war, entsteht auf einmal."
  • Podcast-Hörtipp zu "Gain of Function"-Research: Kevin Esvelt (Biologe am MIT) im Gespräch mit Julia Galef (auf englisch): Esvelt hat darin geschätzt, dass weltweit mehrere tausend Menschen in der Lage wären, das Coronavirus nachzubauen. Für die Wissenschaft ergibt sich das Problem: Wie lässt sich Forschung sicher gestalten, und sie gleichzeitig schnell und transparent vorantreiben?

Staaten als mögliche "Bad Actors"

  • Wer hätte ein Interesse daran, Biotechnologie zu gefährlichen Zwecken zu verwenden? Während des Kalten Krieges zum Beispiel haben sowohl die Sowjetunion als auch die USA in Biowaffenprogramme investiert. "Biowaffen wurden vor allem auch in der Vergangenheit als Abschreckungsmechanismus verwendet."
  • Seit 1971 gibt es die Biowaffenkonvention, um die Gefahr von Biowaffen-Angriffen durch Staaten zu verringern. Sie ist von fast allen Ländern weltweit angenommen. "Heutzutage ist der internationale Konsens, dass Biowaffen nicht gebraucht werden sollten. Und deshalb haben die meisten Länder offiziell keine Biowaffenprogramme mehr. Aber was da jetzt im Geheimen passiert, ist gar nicht so leicht zu sagen." Kritiker der Biowaffenkonvention bemängeln, dass es dem Abkommen an ausreichenden Kontrollmechanismen fehle.
  • Anemone plädiert für bessere Finanzierung der Konvention. Gleichzeitig sieht sie die Gefahr, das Staaten Biowaffen anwenden, als relativ gering an: "Es gibt effizientere Wege und Mittel [für Staaten] großen Schaden anzurichten, weil es bei biologischen Stoffen eben auch sehr viel schwieriger ist vorherzusehen, wie der Schaden aussieht, den sie tatsächlich anrichten."

Können Biowaffen zu terroristischen Zwecken genutzt werden?

  • Es könnte auch andere Gruppen geben, die Interesse an der Nutzung von Biowaffen haben. Die japanische Terrorgruppe Aum Shinrikyo wollte mit dem Bakterium Anthrax zahlreiche Menschen töten und damit eine Biowaffe verwenden; am Ende schnitt sie im Jahr 1995 Säcke mit Nervengas in U-Bahnen auf, was schließlich zum Tod mehrerer Menschen führte.
  • "Heutzutage sind natürlich auch die Möglichkeiten, Biowaffen zu missbrauchen, sehr viel höher. Eben weil wir einfach noch viel mehr technologischen Fortschritt hatten und auch die Kosten so gesunken sind, dass es sehr viel einfacher ist, selbst an biologischen Stoffen zu arbeiten."

Entdeckung und Bekämpfung zukünftiger Pandemien

  • In der Folge reden wir natürlich nicht nur darüber, was alles schiefgehen kann, sondern auch darüber, welche Ansätze es gibt, mögliche Pandemien abzuwehren:
  • Prevention: Beim ersten Punkt übernimmt gerade die Verhinderung menschengemachter Pandemien eine zentrale Rolle: "Labore, die an pathogenen Keimen forschen, müssen ein Biosicherheitslevel haben, je nachdem was für Viren und Bakterien sie erforschen. Einerseits geht es darum, wie tödlich und leicht übertragbar sie sind. Und andererseits auch, ob wir Gegenmaßnahmen haben, sollte ein Virus doch aus dem Labor entweichen."
    Aber auch die Eindämmung von Gain of Function Research oder die bessere Überwachung, wer genetische Baupläne erhält, können Bestandteile erfolgreicher Prävention ein.
  • Early Detection: "Also, während Prävention darauf abzielt, dass es zu gar keinen Erkrankungen oder Unfällen kommt, zielen Early Detection und Intervention darauf ab, die Infektionskurve abzuflachen und dafür zu sorgen, dass die Pandemie so schnell wie möglich beendet wird."Anemone sieht vor allem Potential in der Verbesserung der frühen Erkennung. In der COVID-19 Pandemie wurden vor allem zu Beginn wenig Daten zusammengetragen und geteilt. Teilweise wurde diese Rolle von Our World in Data übernommen.
  • Intervention: Vielen Interventionsmaßnahmen sind inzwischen bekannt: Masken, Schnelltests, Impfstoffe. Anemone beschäftigt sich vor allem mit letzterem; insbesondere arbeitet sie daran, dass Impfstoffe schnell zugelassen und genutzt werden können.
    "Ein wichtiger Ansatz, der auch in der Pandemie praktiziert wurde, ist das Parallelisieren. Also während der Impfstoff entwickelt wird und erste Ergebnisse vorliegen, wird schon angefangen zu testen und noch weitere Kandidaten entwickelt, die dann auch wieder getestet werden. Und während wir dann zum Beispiel noch auf Stabilitätsdaten warten, können wir schon im Tiermodell testen." Auch die weltweite Allianz Cepi zielt darauf ab, die Impfstoffentwicklung letztendlich auf einen Zeitraum von 100 Tagen zu reduzieren.
pageview counter pixel