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Justus Baumann über sozialen Wandel

Justus Baumann ist Geschäftsführer und Mitgründer des Future Matters Projects. Eine NGO, die Wege hin zu sozialem Wandel untersucht und Werkzeuge und Methoden dafür entwickelt. In der Vergangenheit hat die Organisation beispielsweise mit Fridays for Future zusammengearbeitet. Im Podcast frage ich Justus: Wie ändern Menschen ihre Meinung - und wie entsteht daraus sozialer Wandel?

Intro

Herzlich Willkommen bei Wirklich Gut, dem Interview-Podcast über gute Ideen für große Probleme. Ich bin Sarah Emminghaus und ich arbeite als freie Journalistin in Berlin. Für den Podcast spreche ich mit Menschen darüber, wie wir Fortschritte machen können bei wichtigen globalen Themen - und das möglichst evidenzbasiert und effektiv.

Das ist die vorerst letzte Folge des Podcasts - ich konzentriere mich erstmal wieder auf die Arbeit für andere Medien, thematisch beschäftige ich mich dort aber weiterhin lösungsorientiert mit großen Problemen.

Heute gibt es hier noch ein Gespräch mit jemandem zu hören, der ebenfalls ganz große Probleme lösen will: Justus Baumann hat das Future Matters Projects gegründet. Eine NGO, die sich mit sozialem Wandel beschäftigt und in der Vergangenheit beispielsweise mit Fridays for Future zusammengearbeitet hat.

Wir haben viel darüber gesprochen, wie Menschen ihre Meinung ändern - und wie daraus sozialer Wandel entsteht. Außerdem ging es darum, wie sich vermeiden lässt, dass diese “Werkzeuge” manipulativ eingesetzt werden.

Und auch wenn das erstmal die letzte Folge ist, schaut euch gerne mal bei Instagram um - auch über eine Sternebewertung auf der Podcastplattform eurer Wahl würde ich mich sehr freuen. Viel Spaß erstmal beim Gespräch mit Justus Baumann!

Sarah: Schön, dass du da bist, Justus. Ich freue mich wirklich sehr auf unser Gespräch.

Justus: Danke. Ja, ich freue mich auch.

Sarah: Kannst du dich zu Beginn vielleicht einmal ganz kurz vorstellen bitte?

Justus: Ja, ich bin Justus und ich bin Mitgründer und Geschäftsführer des Future Matters Project.

Sarah: Und wie kamst du dahin?

Justus: Längere Reise. Ich glaube, was mich immer schon so beschäftigt hat, ist: Was kann ich eigentlich beitragen, um etwas in der Welt zu verändern? Ich glaube, schon eigentlich so seit meiner Kindheit, aber dann auch in der Jugend, habe ich das Gefühl gehabt, dass die Welt schon echt viele Probleme hat und es ist nicht in Ordnung wäre, wenn sie so bleiben würde. Und das war so ein bisschen eine längere Reise, auf der ich war, wo ich mich damit beschäftigt hab, was sind denn große Leidensquellen, und dann eine Zeit lang am Thema mentale Gesundheit gearbeitet habe. Da irgendwie auch eine NGO mitgegründet habe.

Sarah: Ja, das Happier Lives Institute, oder?

Justus: Genau, das auch noch, aber noch was anderes. Also ich habe eine mentale Gesundheits-NGO in Deutschland gestartet und war dann auch so der erste General Manager des Happier Lives Institutes und habe das auch geholfen mit aufzubauen. Für die, die das nicht kennen, das Happier Lives Institute beschäftigt sich mit der Frage:  Was sind denn die besten Wege, um global Lebensqualität zu steigern? Und das ist natürlich auch eine sehr, sehr spannende Frage. Und von da aus bin ich dann auch weitergekommen zu dem, was jetzt das Future Matters Project ist, nämlich zu dieser Frage: Wenn wir so viele Probleme haben und sich was verändern muss, wie kriege wir das hin? Wie kommen wir denn von dieser Welt, wie sie jetzt gerade ist, zu dieser besseren Welt, zu der wir hinwollen?

Sarah: So, wie können wir diese Lücke schließen?

Justus: Ja, genau. Weil es reicht ja nicht, nur zu wissen, da es dieses Problem gibt und dieses Problem gelöst werden muss. Sondern die andere große Frage ist ja auch, wie lösen wir das Problem an sich auf der sachlichen Ebene? Manchmal, gibt es ja schon gute Lösungsvorschläge und wir wissen eigentlich, was getan werden müsste. Aber es gibt halt viel Widerstand oder aus irgendeinem Gründen wird es nicht umgesetzt. Und bei dieser Frage, wie genau passiert dann Veränderung? Warum verändert sich die Welt? Warum verändert sie sich auch nicht? Die hat mich irgendwie immer interessiert und gleichzeitig war ich auch immer jemand, der sehr gerne wissenschaftlich gedacht hat und sich auch mit Forschung beschäftigt hat. Und ich dachte dann, vielleicht kann ich ja mein Forscher-Mindset auch auf diese Frage anwenden und schauen, was wir denn darüber wissen, wie Veränderung passiert und warum sie nicht passiert. Und ob wir dieses Wissen nutzen können, um die Leute in Bewegungen, Thinktanks, die da dran arbeiten, was in der Welt zu verändern, mit entsprechendem Handwerkszeug auszustatten, um zu dieser besseren Welt zu kommen.

Sarah: Und das, könnte man sagen - "in a nutshell", kurz gesagt - ist die Arbeit vom Future Matters Project?

Justus: Ja, ich glaube, so "in a nutshell" wäre das Ganze: Wir beschäftigen uns damit, wie genau eigentlich politischer und sozialer Wandel funktioniert. und wir nehmen dann dieses Wissen und bilden wiederum Leute weiter, die an großen Problemen unserer Zeit arbeiten. Und im Moment ist vor allen Dingen der Klimawandel das Thema, an dem wir arbeiten.

Sarah: Ja, ich muss noch einen ganz kurzen Werbe-Plug In bei dem Thema Happier Lives Institute machen, weil ich mich in einer anderen Folge schon mal mehr mit deren Arbeit auseinandergesetzt habe, weil ich die Arbeit vom Institut auch super spannend finde. Nämlich in der Folge mit Caspar Kaiser, als ich mit ihm, dem Glücksforscher, darüber gesprochen habe, wie Menschen eben glücklicher werden. Und er hängt auch zusammen mit dem Happier Lives Institute, spannende Arbeit. Okay, also ihr arbeitet thematisch viel zum Thema Klimaschutz, beschäftigt euch damit, wie sozialer Wandel passiert und versucht das Wissen so ein bisschen unter die relevanten Leute zu bringen. Du hast das FMP, wie wir das Projekt bestimmt heute ein paar Mal bezeichnen können, 2020 mitgegründet. Vielleicht noch einmal ganz kurz zu der konkreten Arbeit: Ihr begleitet Menschen, die an sozialem Wandel arbeiten, die ihr auch Change Makers nennt, eine Weile lang dabei, ein Ziel zu erreichen. Wie kann ich mir das ungefähr vorstellen?

Justus: Ja, also ganz grob gesagt: Wir hätten zum Beispiel eine Reihe von Leuten, die jetzt gerade an dem Thema "Fossile Subventionen abschaffen" arbeiten. Die Frage ist aber, wie können die jetzt am besten da dran arbeiten? Und womit wir halt helfen, ist mit einer Reihe von Werkzeugen, die sie verwenden könnten. Dann im Rahmen von Trainings, Workshops und so weiter bringen wir  dann Leuten aus einer Reihe von NGOs, Think Tanks und Bewegungen bei, wie man zum Beispiel eine gute Theorie des Wandels aufstellen  kann - oder Theory of Change, wie es auf Englisch heißt. Also, wie kann man einen wirklich guten Plan entwickeln, wie man von dem, was man hier und heute tut, am Ende zu der konkreten Veränderung kommen kann?

Sarah: Wenn ihr so von Change Makers sprecht, kann man noch ein bisschen genauer sagen, was ihr mit Change meint? Also was bedeutet Wandel überhaupt?

Justus: Ja, also es gibt eine ganze Reihe von Arten, wie man über Wandel nachdenken kann, eine Art von Wandel, wären zum Beispiel Normen- und Kulturwandel oder wie Menschen behandelt werden, die bestimmte Merkmale aufweisen. Da kann auch allein auf dieser Verhaltensebene etwas passieren, dass wäre dann häufig einfach ein Kultur- oder Normenwandel. Aber Wandel findet eben auch häufig auf dieser politischen Ebene statt, wo Gesetze und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich verändern. Und es kommt natürlich auch immer auf Sachen an, wie welche Arten von Projekten und Initiativen auch finanziell ausgestattet werden. Also wo wir als Gesellschaft reininvestieren und da sozusagen das Engagement der Gesellschaft in einer gewissen Weise zu erhöhen, auch in Form von finanziellem Engagement.

Sarah: Kannst du das, was ihr da macht, noch ein bisschen konkreter erklären? Also mich einfach mal durch so einen Prozess durchführen? Sozialer Wandel ist ja sehr, sehr groß. Es geht hier nicht nur darum, wie sich einzelne Menschen verändern oder wie sich ihr Verhalten und die Werte einer einzelnen Person verändern, sondern ihr versucht wirklich das zu skalieren.

Justus: Also ja, am Ende des Tages geht es darum, dass wir anderen Leuten helfen, die diesen Wandelarbeit machen, an einen bestimmten Punkt zu kommen. Zum Beispiel im Rahmen von Klimawandel, dass man sagen kann, wir sind auf einen anderen Pfad gekommen, was die globale Dekarbonisierung angeht, weil deutlich deutlich weniger Emissionen ausgestoßen wurden. Letztendlich sterben am Ende weniger Menschen, leiden weniger Menschen. Wir haben eine bessere Welt erreicht. Also am Ende geht es immer darum, das Problem zu lösen. Aber natürlich gibt es dazwischen ganz, ganz viele Schritte. Und das fängt halt an, weil wir erst mal überlegen müssen, welche Art von Entscheidungen überhaupt getroffen werden müssen, damit dieser Wandel zustande kommt. Und wer trifft diese Entscheidungen? Was wiederum motiviert diese Entscheidungsträger, bestimmte Entscheidungen zu treffen oder nicht zu treffen? Und wie erreicht man die? Und so weiter. Und um all diese komplizierten Fragen zu beantworten, hilft eben dieses Wissen, was wir teilen.

Sarah: Okay. Und sagen wir mal, jemand kommt zu euch, sagt: Ich habe ein Problem, ich möchte Wandel bewirken, könnt ihr mir irgendwie beibringen, was es da für Möglichkeiten gibt? Wie sieht das genau aus? Ihr habt ja in Sachen Klimawandel zum Beispiel schon mit Fridays for Future zusammengearbeitet.

Justus: Genau. Also so eine Sache, die wir da gemacht haben, war Trainings anzubieten für politische Strategie, Kommunikationsstrategie und Organisation im zivilgesellschaftlichen Engagement. Und das wäre dann beispielsweise so ein Workshop, wo Leute mal lernen würden zu reflektieren, was sie auf der höchsten Ebene eigentlich zu erreichen versuchen. Zum Beispiel, wir versuchen irgendwie Klimawandel zu bekämpfen. Was heißt das konkret? Was sind unsere konkreten Optionen und Möglichkeiten innerhalb von Deutschland, um um das irgendwie zu bewerkstelligen? Und daraus dann eben so eine Theorie des Wandels aufzustellen. Und warum machen wir das so? Warum ist es eine sinnvolle Form von Arbeit? Am Ende natürlich, weil dann so Wandel-Akteure einfach mehr Handwerkszeug haben, um an diesem Problem zu arbeiten. Wir können uns ja alle vorstellen, dass, wenn ich versuche, ein komplexes Problem zu lösen und ich besser ausgestattet bin, weil ich viel mehr Werkzeuge habe, dann werde ich natürlich auch besser darin sein, zur Problemlösung beizutragen.

Sarah: Und von eurer Arbeit mit Fridays for Future, was ist dabei rumgekommen?

Justus: Also zum einen die Trainings, die wir gemacht haben. Da haben wir so ungefähr 400 Leute ausgebildet. Viele, die auch lokale Gruppen geleitet haben. Und es war als Effekt auf jeden Fall sehr spürbar, dass es dazu geführt hat, dass lokale Gruppen gewachsen sind, sich also einfach deutlich mehr Leute engagiert haben, die das wiederum deutlich gezielter gemacht haben. Also wirklich entscheidende Möglichkeitsfenster im Klimaschutz genutzt haben. Und auf der anderen Seite war ein Ergebnis von einem Workshop mit einigen der leitenden Leute bei Fridays for Future die Überlegung, was eigentlich die Strategie als Bewegung sein sollte. Und ein Ergebnis war da, dass vielleicht versucht werden sollte, das Emissionsbudget in Deutschland stärker zu verankern. Dabei handelt es sich um die Idee, dass, wenn Deutschland seine Versprechen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens wirklich einhalten will, es eine begrenzte Menge an Emissionen gibt, die Deutschland überhaupt noch emittieren darf. Und das Problem, was wir eigentlich im Moment noch haben, ist, dass wir sehr, sehr viel darüber sprechen, wie viel Klimaschutz genug ist. Aber eigentlich muss da ein gewisser Mindset-Shift stattfinden. Naja, Deutschland hat sich verpflichtet, nur noch eine bestimmte Menge an Emissions zu emittieren. Worüber wir jetzt eigentlich sprechen sollten ist, was der beste Pfad ist, um dieses Ziel einzuhalten. Also, wofür sollten wir unser verbliebenes Budget ausgeben? Und dann gibt es vielleicht einige Leute, die sagen, wir sollten ein bisschen mehr Rücksicht auf die Landwirtinnen nehmen, sodass wir denen ein bisschen längere Fristen für die Transformation geben und dafür sollten wir den Verkehr schneller transformieren. Und andere sagen, der Verkehr ist ganz schwierig, und so weiter. Aber dann können wir einen demokratischen Diskurs darüber haben, wo genau wir das Tempo anziehen wollen und wo wir ein bisschen mehr Raum lassen, um die Transformation auch gut zu gestalten? Aber wir sprechen nicht über diese grundsätzliche Frage: Sollten wir versuchen, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten? Das war so eines der Erkenntnisse. Wir müssen so ein bisschen die Debatte shiften. Nicht "Sollten wir mehr Klimaschutz machen?", sondern "Wie sollten wir den notwendigen Klimaschutz machen?".

Sarah: So, gesetzt, dass wir ganz viel Klimaschutz machen müssen. Wie kriegen wir das hin?

Justus: Richtig. Und ich glaube auch, wenn man es schafft, in der Gesellschaft diese Norm zu setzen, dass es vollkommen klar ist, dass wir nicht über bestimmte Grenzen im Klimasystem kommen dürfen, um dann zu sagen, lasst uns nicht ständig über diese Frage sprechen oder ständig über diese Frage, ob es Klimawandel gibt, sondern lasst uns die Debatte verändern. Weil, wenn wir diese andere Debatte führen, nämlich was genau der beste Weg ist,  um diese Grenzen einzuhalten, dann haben wir eine viel, viel produktivere Debatte und auch eine Debatte, wo eine Klimabewegung einen viel besseren Beitrag leisten kann, als wenn wir ständig diese Schlachten weiterkämpfen, die eigentlich schon in den Achtzigern hätten abgeschlossen sein sollen.

Sarah: Ja, das ist ein anderes Thema, das ich auch unbedingt noch ansprechen wollte. Das will ich jetzt schon mal hierher schieben. Und zwar die Frage, wann auf welche Themen aufmerksam gemacht wird. Also bei Klimaschutz finde ich das sehr eindrücklich und sehr interessant, wann was sinnvoll ist und wie es auch sinnvoll zu vermitteln ist. Also du sagst zum Beispiel, ihr habt bei euren Trainings mit Fridays for Future-Menschen diesen Shift auch versucht mit zu bewirken. Und vorher war es vielleicht eher so, dass die Schulstreiks irgendwie superwichtig waren. Hunderttausende Menschen und auch Schülerinnen, die echt besseres zu tun hätten, gehen dafür auf die Straße und setzen sich dafür ein und schaffen erst mal so ein Bewusstsein dafür, wie groß das Problem gerade ist. Und dann geht es sozusagen in die nächste Phase des sozialen Wandels.

Justus: Ja, absolut. Ich glaube, man kann wirklich darüber als Phasen nachdenke. Damit überhaupt eine realistische Chance auf Wandel da ist, muss es erst mal genug Aufmerksamkeit und Druck für das Problem geben. Letztendlich, wenn wir über gesellschaftlichen Wandel nachdenken und auch über Politik, ist es ja nie so, dass nur ein Thema da ist, sondern der erste Schritt ist, überhaupt Leute dazu zu bekommen, ihre Aufmerksamkeit und Zeit auch darauf zu verwenden, wirklich argumentieren zu können. Dass wir mehr Geld in die Hand nehmen, mehr Gesetze erlassen müssen, um dieses, dieses Ziel zu erreichen. Und dann in der zweiten Phase, und das ist nach diesem Agenda Setting etwas, was auch viel durch Protest passieren kann, ist die zweite Frage halt, dass wir jetzt in Deutschland diese Situation haben, dass alle sagen, dass sie  zumindest irgendwie Klimaschutz machen wollen. Aber wenn wir uns genauer im Detail anschauen, was damit eigentlich gemeint ist. Welche Maßnahmen sind das und reichen die eigentlich aus? Da müssen wir gerade sehen, dass die Maßnahmen nicht reichen. Das es einfach nicht genug ist, um um diese Klimaziele zu erreichen. Und dann ist ja die Frage, wie setzt man jetzt im zweiten Schritt spezifische Maßnahmen? Also letztendlich, wie lassen wir auch Leute nicht davonkommen mit Dingen, die zu unambitioniert sind und die zum Teil auch einfach Greenwashing sind? Wie mache ich das wiederum und wie gut funktioniert Protest dafür? Es in so einer zweiten Phase ist dann auch wichtig für eine Bewegung, für NGOs oder Think Tanks mit den Entscheidungsträgerinnen direkt auch überhaupt ins Gespräch zu gehen. Weil natürlich die Sache ist, dass viele dieser Dinge intern verhandelt werden, innerhalb von einem politischen System, innerhalb von den Parlamenten, von Parteien. Und wenn erst mal die Debatte läuft, wie bringt man dann die Themen an die Maßnahmen ein, die vielleicht auch am vielversprechendsten wären?

Sarah: In dem Zusammenhang finde ich, auch wenn das jetzt echt schon sehr viel besprochen worden ist, aber trotzdem diese Debatte um die Klimakleber ganz spannend. Also diese Gruppe junger Aktivistinnen, die sich zum Beispiel auf die Straße kleben und damit den Verkehr aufhalten wollen, um eben auf das Thema Klimaschutz aufmerksam zu machen, wo ich so das Gefühl habe, dass die Reaktionen aus der Gesellschaft viel negativer und viel hasserfüllter auf  Art und Weise sind, als es bei den Schulstreik der Fall war. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das falsch erinnere, ob es damals vielleicht auch schon sehr negative Reaktionen gab. Aber jetzt habe ich irgendwie das Gefühl, dass auch Menschen, die eigentlich mit deren grundsätzlichen Zielen übereinstimmen, ziemlich negativ darauf reagieren. Und da habe ich mich auch gefragt, ob das daran liegt, dass diese Protestform in der aktuellen Phase des Themas Klimawandel, wo wir uns befinden, von großen Teilen der Gesellschaft als nicht mehr angemessen oder so wahrgenommen wird. Wie siehst du das?

Justus: Ja, ich glaube, auch bei den Streiks gab es schon diese Debatte, ob es okay ist, die Schule zu schwänzen, obwohl es die Schulpflicht gibt. Und was wir jetzt mit dem Thema Klimawandel sehen, ist sowieso eine Steigerungsform des Ganzen, weil also irgendwie Suppe auf Gemälde zu schmeißen oder irgendwie Straßen zu blockieren, das eine ist eine Sachbeschädigung und das andere greift unmittelbar in den Lebensalltag von Leuten ein und erzeugt natürlich eine immer stärkere Gegenreaktion. Also von daher ist es gar nicht überraschend, dass diese ablehnende Reaktion aus der Gesellschaft kommt. Das ist vielleicht auch so ein bisschen der Unterschied zwischen der Innenperspektive von diesen Menschen, die solche Dinge tun, die einfach sehr verzweifelt sind, weil sie denken, dass sie auf diese riesige Katastrophe zu steuern und einfach viel zu wenig getan wird. Das ist ja auch erst mal eine natürliche Reaktion, um es hinzubekommen, dass mehr Leute dem Aufmerksamkeit schenken, dass mehr passiert. Und was vielleicht die Öffentlichkeit mehr wahrnimmt, ist, dass dieses Thema gar nicht so präsent ist, in ihrem Lebensalltag. Und auf einmal blockieren irgendwelche Leute die Autobahn und ich komme nicht mehr zur Arbeit. Und aus dieser Perspektive ist es einfach nur eine Störung und ein unangemessenes Verhalten.

Sarah: Also glaubst du, der Unterschied zu den Streiks liegt eher in dieser Disruption des Alltags. Und ich kann mir auch vorstellen, dass es mit dem Thema Verkehr zusammenhängt, also dass Autos behindert werden. Da ist Deutschland ja sowieso recht sensibel, würde ich mal sagen, was Verkehrseinschränkungen angeht. Oder glaubst du, dass es auch diesen Aspekt der Phasen des sozialen Wandels gibt?

Justus: Ich glaube wir hätten auch irgendwie in 2019 oder so keine wirklich andere Reaktion darauf gesehen, wenn man solche Aktionen gehabt hätte. Einfach weil Sachbeschädigung noch mal eine viel stärkere soziale Normverletzung ist als irgendwie nicht zur Schule gehen - was vielleicht viele auch irgendwann mal gemacht haben in ihrer Schulzeit. Und es ist auch erst mal was, was nur einen selbst betrifft. Wenn ich nicht zur Schule gehe, dann schädige ich vor allem mich selbst, was halt anders ist ald wenn ich jetzt ein Gemälde beschädige oder so. Und bei solchen Dingen wie Autobahn blockieren ist natürlich einfach die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass irgendwann der Moment kommt, wo ein Rettungswagen über die Autobahn fahren muss. Dann ist etwas passiert, das wirklich schlecht ist. Und das überträgt sich natürlich auch in der öffentlichen Geschichte. Und dass das dann wiederum moralische Empörung auslöst, ist ja auch nicht überraschend.

Sarah: Hmmm. Wir haben ja jetzt das Thema Normen und Wertewandel schon an ein paar Stellen angetastet. Das finde ich bei dem ganzen Themenkomplex auch total faszinierend. Wie ändern sich eigentlich Normen und Werte in einer Gesellschaft? Normen sind ja vielleicht Dinge, die eine ganze Gesellschaft als normal empfindet. Und dann eben zum Beispiel persönliche Werte. Darunter gehört natürlich auch so etwas wie Solidarität oder inwieweit man Gleichberechtigung von verschiedenen sozialen Gruppen wichtig findet. Und gerade beim Klimawandel als ganz aktuelles Thema spielt, glaube ich, auch in ganz, ganz viele Bereiche mit rein, auch wenn es um Verhaltensänderung geht und ganz, ganz, ganz viele von diesen Sachen. Ihr arbeitet konkret daran, sozialen Wandel zu bewirken. Dafür muss man an die Werte von Menschen und an die Normen einer Gesellschaft ran. Wie geht das?

Justus: Na ja, ich glaube, um das zu verstehen, sind zwei Konzepte sehr hilfreich und vielleicht so ein grundsätzliches Mindset. Und das ist: Wir als Menschen, wir nehmen auch sehr, sehr viel Hinweise von anderen wahr, was okay ist und was nicht okay ist und was normal ist zu denken. Und eines der fundamentalen menschlichen Bedürfnisse ist, dazu zu gehören, und das ist das auch das, was wirklich so fundamental früher unser Überleben gesichert hat. Und das ist nach wie vor eine sehr wichtige Motivation. Das sorgt dafür, dass die meisten Menschen ungern abweichen wollen von dem, was als normal wahrgenommen wird. Das heißt, wenn sich irgendetwas wandeln muss, dann muss es irgendeine Form von Erlaubnis geben, dass man etwas anderes denken darf. Also erst denken und dann aber auch sagen. Das eine Konzept, und da gibt es einen Forscher, der eigentlich auch viel zu gemacht hat, Cass Sunstein, ist, die Grenzen für Aktionen oder so Action Thresholds. Wo es darum geht, wann Leute bereit sind, sozial abzuweichen? Und da ist das Interessante, dass es ein Spektrum gibt. Nicht alle Menschen haben sozusagen den gleichen Schwellwert, um irgendetwas sozial Abweichendes zu tun. Und häufig gibt es bestimmte Leute, die weichen einfach immer ab von dem, was als normal wahrgenommen wird. Also so ein bisschen vereinfacht gesagt, die "Punks" der Gesellschaft, denen ist es einfach völlig egal, was andere von ihnen denken, außer vielleicht ihre spezifische Ingroup. Und die machen das einfach immer. Aber die werden auch nicht so wirklich als Signal wahrgenommen von der Gesellschaft, dass sich irgendwas verändert. Sondern das sind dann halt, blöd gesagt, "Freaks" und natürlich machen die irgendwas anderes. Aber wirklich interessant wird es, wenn Leute anfangen, die ich als Teil meiner Gruppe, oder meines sozialen Kreises wahrnehme, auch abweichendes Verhalten zu zeigen, abweichende Gedanken zu äußern, die ich aber irgendwie als vertrauenswürdig, normal und als vernünftige Menschen wahrnehme, Weil dann denke ich, vielleicht gibt es viele Gründe dafür. Und wo wir häufig wirklich Veränderungen wahrnehmen, ist, wenn das Ganze sich wie eine soziale Dynamik entwickelt, das Gefühl ab von. Wenn mehr und mehr Menschen anfangen, das zu tun, so zu denken und ich das immer mehr in meiner sozialen Umgebung wahrnehme. Ich denke immer mehr, dass das normales, vernünftiges Verhalten ist. Weil dann können wir auch etwas überkommen, was viele Menschen machen - nämlich Präferenzverfälschung. Das heißt, häufig sind Menschen gar nicht so komplett transparent und ehrlich darüber, was sie eigentlich  zu einem Thema denken; gerade wenn sie das Gefühl haben, eine abweichende Meinung zu haben. Ein Beispiel, das ich auch von Cass Sunstein habe, ist eine Studie, die es zu Männern in Saudi Arabien gab. Dort ist es so, dass sie erlauben müssen, dass ihre Frauen arbeiten gehen dürfen. Und interessanterweise, wenn man Männer anonym befragt, sagen die meisten, sie finden es eigentlich okay, wenn ihre Frauen arbeiten. Wenn man sie dann wiederum fragt: Was denken Sie, was die meisten anderen Leute denken? Dann sagen sie, die allermeisten denken, dass es nicht okay ist. Und das heißt, ganz häufig verhalten sich Menschen so, wie sie denken, dass andere es von ihnen erwarten, und nicht so, wie sie eigentlich selbst denken. Und das nennt man pluralistische Ignoranz. Das heißt, wir haben schon eine kollektive Veränderung in den Ansichten, aber alle sind in ihrem Verhaltenin dieser Vorstellung gefangen, das r die anderen, eigentlich so wie der Status quo denken. Und das ist auch ein Grund, warum  manchmal ein Wandel so plötzlich passiert. Es ist häufig gar nicht so, dass ganz viele Menschen über Nacht ihre Meinung oder ihre Werte geändert haben. Das passiert nicht wirklich häufig. Sondern es ist eher so, dass es etwas unter der Oberfläche gab, das sich schon verändert hat, und es dann bestimmte Momente gab, die eine rasante soziale Dynamik geschaffen haben, dass das Ganze dann an die Oberfläche kommt.

Sarah: Was könnte denn so ein Moment sein? Also mit der Dynamik meinst du, dass es diese Menschen sowieso schon eigentlich gedacht haben, aber sich nicht getraut haben, etwas zu sagen, weil sie nicht dachten, dass die anderen das auch so sehen. Und dann passiert irgendwas.

Justus: Dann passiert irgendwas. Und häufig sind es Krisen, die so etwas auslösen. Viele Leute sind schon unzufrieden mit einem bestimmten Regime zum Beispiel. Und dann kommt aber ein Moment einer spezifischen Krise, ein Skandal oder so - im Iran haben wir das zum Beispiel kürzlich gesehen - und auf einmal gibt es ganz, ganz viele Menschen, die diese Meinung bisher unterdrückt haben, die sich auf einmal trauen, diese zu äußern. Und da kommt natürlich noch hinzu, dass es in so einem Regime wie zum Beispielim Iran nicht nur soziale Kosten hat. Sondern das hat ja echte Kosten im Sinne davon, dass ich mein eigenes Leben eventuell gefährde. Aber da ist es dann halt so, wenn genug Leute empört sind und sich dann eine Gruppendynamik bildet, dann überkommen Leute halt auch solche sehr gut begründeten Schwellen dafür, inaktiv zu bleiben.

Sarah: Und das ist dann wieder die Threshold, die Schwellen, die es sozusagen gibt, dieses Konzept von Sunstein. Wenn ich das Konzept richtig verstanden habe, ist es irgendwie so, dass es Menschen gibt, die eine Person in ihrem Umfeld brauchen, die eine Sache sagt, die "Einser", wenn man versuchen würde, das zu übersetzen, und immer weiter, also "Zweier", "Dreier", "Vierer". Und dann gibt es Leute, die nie überzeugt oder die nur durch massenweise andere Menschen überzeugt werden würden. Also wenn so etwas schon losgetreten worrden ist und die meisten schon eingestiegen sind, gibt es noch welche, die quasi erst danach dazustoßen, weil sie ganz, ganz lange brauchen, um sich überzeugen zu lassen oder um ihre Werte zu ändern.

Justus: Ja, ich meine, es wird ja immer auch Menschen geben, die bestimmte Werte sehr stark mit ihrer Identität verknüpfen oder auch mit ihrer sozialen Rolle. Nehmen wir zum Beispiel mal an, da ist so ein Familienpatriarch und das ist sowohl seine soziale Identität als auch so ein bisschen seine Lebensaufgabe, dann hat es natürlich enorme soziale Kosten für diese Person, das loszulassen. Plus, vielleicht hat die Person auch einfach wirklich problematische Ansichten.

Sarah: Was ich daran immer wieder so faszinierend finde, ist dieser psychologische Aspekt davon, wie viel meiner Identität damit zusammenhängt, was mein Umfeld denkt und was mein Umfeld mir als okay suggeriert. Also es gibt ja nicht nur diese unterdrückten Präferenzen, die ich mich nicht zu äußern traue. Sondern im Gegenteil, ich glaube, davon gibt es nicht so ultra viele. Sondern was mein aktuelles Umfeld oder meine aktuelle Blase, in der ich mich viel bewege, eben glaubt und mir vorlebt und zeigt und suggeriert ist so wichtig für das, was man auch als Integral zu der eigenen Identität wahrnehmen kann. Das finde ich einfach immer wieder völlig faszinierend, dass meine Identität natürlich überhaupt nicht diese total standfeste Werten sind, zu Teilen.

Justus: Zu Teilen. Und zum anderen suchst du dir ja auch eine Gruppe basierend auf deinen Werten und Präferenzen. Und das ist aber ein ganz, ganz interessantes Phänomen, weil in einer gewissen Weise ist das oft eines der großen Hindernisse für Wandel, dass wir eine Gruppe von Menschen haben, die sich sehr einig darüber sind, dass ein Problem existiert. Und für die ist es aber viel leichter zu den Menschen hinzugehen, die auch schon ihrer Meinung sind. Was fühlt sich halt viel besser an, zu dieser Gruppe zu gehen, die auch denkt, dass die Klimakrise ein riesiges Problem ist und wo andere Leute sagen, ja stimmt, wie gut, dass du da auch dran arbeitest. Gemeinsam machen wir das. Als hinzugehen zu deiner Familie zum Beispiel, wenn die jetzt nicht so Klimaschutz bewegt ist. Dann zu sagen, dass du glaubst, dass es ein richtig großes Problem gibt und es dir wichtig wäre, dass sie auch anfangen sich zu engagieren. Und dadurch so ein bisschen nicht ernst genommen zu werden oder irgendwie abwertend behandelt zu werden. Aber das Problem ist, wenn wir einen kleinen Teil der Gesellschaft haben, der schon bei 20% oder so ist, aber diese 20% immer nur untereinander reden, wie soll der Wandel passieren? Wie soll sich das über diese Gruppe ausbreiten? Ich glaube, ein häufiges Muster, das wir bei erfolgreicher sozialer Veränderung oder politischer Veränderung sehen, ist, dass es Gruppen gab, die sehr, sehr gezielt aus ihrer eigenen sozialen Blase rausgegangen sind. DIe sich überlegt haben, was denn die gesellschaftlich wichtigen Gruppen, die gerade den Status quo erhält, und wie sie die überzeugt kriegen? Also auch nicht nur, jetzt mit allen reden. Oder was wir zum Beispie früh in der Tierrechtsbewegung gesehen haben. Nämlich wir gehen mit konfrontativem Gesprächsverhalten vor, wie "Tiermörder" und so weiter. Denn da ist die Frage, wie viel Lust habe ich, mit jemandem weiter zu sprechen, der diesen Einstieg gewählt hat. Und sich auch zu überlegen, dass das gerade eine Person ist, die ist noch nicht davon überzeugt, die dieses Problem noch nicht kennt. Die kann aber auch gar nicht, die emotionale Dringlichkeit spüren, die ich auch gerade spüre. Wie kann ich mit dieser Person sprechen? Eine Art und Weise, die irgendwie an ihre Lebenswelt, an ihre Werte usw. anknüpft.

Sarah: Und wie geht das? Also wenn ich jetzt diesen Schritt gegangen bin. Ich stimme ja durchaus zu, das es ein riesiges Problem ist, nur an die eigene Blase zu signalisieren, dass man eine von ihnen ist und sie alles richtig machen, aber eben nicht rauszugehen. Da sind wir glaube ich an super vielen Stellen gesellschaftlich. Aber wenn ich jetzt versuche meine Blase zu verlassen, ich versuche andere Menschen zu überzeugen, sei es jetzt zum Beispiel - bleiben wir mal bei meiner Familie... Also vielleicht nicht konkret meine Familie, die sind super. Aber sagen wir mal, ich hätte eine Familie, die den Klimawandel überhaupt nicht wichtig findet und das Problem überhaupt nicht sieht. Ich komme dann irgendwie dahin, bin vegan oder vegetarisch, lebe in meiner Berliner Blase und versuche irgendwie zu appellieren, dass das Thema wichtig ist. Wie mache ich das am besten?

Justus: Ja, ich glaube, da kann man interessanten Kontrast aufmachen, nämlich auch wie viele Umwelt-NGOs so in den 90er und auch Anfang der 2000 Jahre, über Klimawandel kommuniziert haben. Da war der Eisbär eine große Sache. Vielleicht haben einige das auch noch so ein bisschen im Kopf, dass der Klimawandel schlimm ist, weil die Polkappen schmelzen und dann hat der Eisbär keinen Lebensraum mehr. Und wenn man so aus seiner Umwelt/Naturschutz-Bubble kommt, dann leuchtet einem das ein, dass es sich jetzt lohnt, das gesamte Weltwirtschaftssystem, die gesamte Weltenergieproduktion umzustellen, um den Eisbär zu retten. Für die meisten anderen Menschen ergibt das aber gar keinen Sinn. Und das ist wieder ein typisches Beispiel, wo ein Aufhänger gewählt wurde, um ein Problem zu erklären, der sehr, sehr viel emotional bewegt hat für die Leute, die schon aus einer bestimmten Ecke kamen. Aber als Erzählung über dieses Problem überhaupt nicht funktioniert hat für den allergrößten Teil der Gesellschaft und wo ich auch sagen würde, die Bedrohlichkeit der Klimakrise in einer gefährlichen Weise heruntergespielt. Denn es geht zwar auch um die Eisbären. Aber für die meisten Menschen ist vor allem dieser Hinweis wichtig: Was ist eigentlich Klima? Klimaerwärmung ist eigentlich nicht Erwärmung, sondern eine extreme Destabilisierung des gesamten Systems mit vielen extremen Wetterereignissen, durch die auf einmal große Gebiete des Planeten unbewohnbar werden und wir einen krassen Ressourcenmangel erleben können. Und auf einmal geht es um Stabilität, es geht um Sicherheit, es geht um Gesundheit und so weiter. Das sind Dinge, wo ich sagen kann, ich als klimabewegter Mensch, dem auch Naturschutz wichtig ist, sind auch diese Sachen wichtig. Auch ich will nicht in dieser komplett chaotischen Welt alt werden. Aber das sind vor allem auch Dinge, die funktionieren. Zum Beispiel auch für konservative Menschen, die eine stabile Welt haben undsicher leben können wollen.

Sarah: Weil es an gemeinsame Werte anknüpft, weil ich mich nicht verstellen muss, weil sozusagen klimabewegten Menschen diese anderen Dinge auch wichtig sind. Aber die sind auch Menschen wichtig, denen Klimaschutz als Thema noch nicht so präsent ist. Und ich suche quasi Gemeinsamkeiten und versuche dann, diese anzusprechen.

Justus: Letztendlich versuche ich ja, eine Brücke zu bauen zu einem anderen Menschen. Und ich glaube, dass so ein Element davon ist, an die Werte dieser Menschen anknüpfen. Und eine Sache, die ich sehr, sehr spannend fand, ist die Forschung von Jonathan Haidt, der so psychologisch geschaut hat, was eigentlich so die fundamentalen Eigenschaften von menschlicher Moral sind. Und warum sich Menschen unterscheiden. Und die ganz interessante Sache, wenn wir Menschen auf dem politischen Spektrum zuzuordnen wollen, warum sind manche Menschen so viel progressiver und so viel mehr positiv zu Wandel eingestellt? Und warum sind andere Menschen konservativer? Das ist das interessante, dass die Varianz auf dem Aspekt der Fairness - wie wichtig ist es, dass Leute fair behandelt werden? - oder der Gerechtigkeit schon Menschen mit progressiven politischen Einstellungen ich noch mal ein bisschen wichtiger ist, es aber ist nicht so, dass es konservativen Menschen unbedingt unwichtig ist, dass es anderen gut geht. Und gerade wenn es um andere Dimensionen geht, nämlich Schaden und Leid, sind Progressive und Konservative häufig gar nicht so unterschiedlich. Das heißt also, diese Ziele, Leid zu verhindern, die sind auch wirklich geteilt. Aber der große Unterschied zwischen solchen Menschen ist ein Aspekt, der sich auf Englisch "Openness to new experiences" nennt, Offenheit für neue Erfahrungen. Und der erklärt eigentlich relativ gut, warum manche Menschen so sagen: "Hier ist ein wichtiges Problem, dann lasst uns die gesamte Welt verändern, jetzt sofort". Und warum vielleicht eher konservativ eingestellte Menschen eher Vorsicht wollen. Und ich glaube, das ist nicht nur, dass man sagt, diesen Wandel will ich nicht und die sind irgendwie risikoavers, so weiter, sondern ich glaube auch eine Sache, die wir immer wieder in der Geschichte gesehen haben, ist, dass es Leute gab, die gute Intentionen hatten, und versucht haben, sofort die Welt zu verändern. Die haben irgendetwas eingeführt, das hat überhaupt nicht funktioniert und es hat riesigen Schaden angerichtet. Und ich glaube, wenn man diese Perspektive auch sehen kann, auch vielleicht als jemand, der eher progressiv eingestellt ist, kann man verstehen, dass dieser Mensch nicht einfach böse ist und dem es nicht wichtig ist, dass da Menschen sterben könnten. Sondern dass das ein Mensch ist, der vielleicht vorsichtiger ist und dem es im Vergleich zu mir wichtiger ist, dass die Sachen auch wirklich, wirklich funktionieren. Und erst wenn ich den soliden Plan sehen kann, dann bin ich auch überzeugt, dass ich diesen Weg mitgehen kann. Aber vielleicht ist das, was gerade jemand braucht, gar nicht noch mehr Informationen darüber, wie wichtig das Thema ist, sondern eher die Überzeugung, dass der Weg zu dieser anderen Welt, wo wir besser geschützt sind vor diesem Problem, funktionieren kann. Also vielleicht ist es gar nicht die Wichtigkeit des Themas, sondern die Umsetzbarkeit, die zweifelhaft ist.

Sarah: Ja. Attraktiv daran finde ich diesen Gedanken - also jetzt auch von uns in diesem Gespräch -, dass wir nicht sagen, wir sind die Progressiven und die Konservativen sind schlecht und haben schlechte Ideen oder so, sondern eben auch anerkennen, dass verschiedenste politische Ausrichtungen, außer die extremen natürlich, sehr sinnvolle Ansätze und wichtige Bausteine liefern können, um kooperativ große Probleme zu lösen. Also dieses Mindset, erstmal zu gucken, dass eine Sache zum Beispiel  wirklich sicher ist, bevor sie implementiert wird, und länger drüber nachzudenken, dass das auch ein total sinnvoller Baustein sein kann, um Wandel zu bewirken. Auch wenn das vielleicht andersrum bedeutet, dass eine Sachen ein bisschen länger dauert, als sie gedauert hätte, wenn die super offenen Progressiven sie einfach sofort umgesetzt hätten, zum Beispiel.

Justus: Ja klar. Ich glaube, es ist zumindest eine Perspektive, um darauf zu schauen. Man kann sagen, manche haben auch einfach abweichende Meinungen mit denen ich nicht übereinstimme. Und ich glaube, es wäre auch Quatsch zu sagen, dass alle immer nur total wertvolle Perspektiven sein müssen. Es gibt auch einfach Leute, die den Klimawandel nicht ernstnehmen. Die haben eigentlich die Informationen, die sie haben könnten, und entscheiden sich, das Problem zu ignorieren, weil sie kurzfristige Interessen verfolgen wollen. Also natürlich gibt es auch Leute, die denken, "ich bin privilegiert, ich kann mich selbst schützen, die Menschheit ist mir nicht so wichtig". Und trotzdem glaube ich, dass es wichtig zu sehen ist, dass das nicht die einzige Begründung ist, warum Leute vielleicht zögern, Probleme ernster zu nehmen, sondern es gibt auch andere Aspekte. Es gibt generell so zwei Perspektiven, die ich häufig sehr hilfreich gefunden habe und auch weiterhin hilfreich finde, um auf die Welt zu blicken: Die Fehlertheorie und die Konflikttheorie. Und wenn man aus der Perspektive der Fehlertheorie auf die Welt schaut, dann sagt man, kollektiv mit Millionen von Menschen komplexe Probleme zu lösen, ist einfach schwierig. Und selbst wenn sogar alle versuchen sollten mitzuwirken, sollten wir annehmen, dass es vielleicht auch nicht klappt. Weil es einfach diese Komplexität gibt und weil häufig auch Akteure auch in bestimmten Systemen gefangen sind. Wenn wir zum Beispiel sagen, so eine bestimmte Ökonomie - vielleicht auch aus schlechten Gründen, was sie eigentlich schon hätten wissen können in den 50er, 60er Jahren oder so - hat sehr stark darauf gesetzt, viel ihrer Wirtschaftskraft aus der Ölförderung zu ziehen. Dann muss auch so ein Land sich umstellen. Aber es ist natürlich auch sehr viel schwieriger für dieses Land, sich umzustellen, weil auf einmal ein Großteil ihres Einkommens wegbricht. Und da wäre dann eher die Frage:. Angenommen, wir hätten eine Person in der Regierung, die das Thema komplett ernstnimmt und die da wirklich raus will; was bräuchte es dann, damit es praktisch funktioniert? Und ich glaube, man muss häufig überlegen, was sind die praktischen Hürden, warum Probleme gelöst werden oder warum Probleme nicht gelöst werden? Und können wir die aus dem Weg räumen? Ich glaube, das Klimaabkommen oder die Weltklimagipfel sind eigentlich ein interessantes Beispiel, wo man in einer gewissen Weise der Menschheit Steine in den Weg gelegt hat, indem man gesagt hat, wir machen das Ganze mit dem Konsensprinzip. Das heißt, es müssen immer absolut alle zustimmen, damit wir wirklich ein globales Abkommen haben können. Aber wir auch hätten sagen können, dass man das anders regeln könnte, und zwar indem man festlegt, dass am Ende nur die Länder einem globalen Klimaabkommen beitreten können, die auch wirklich ein Mindeststandard an Verpflichtungen eingehen. Das ist so ein Eintrittspreis, um in ein Abkommen reinzukommen, durch den man dann aber auch untereinander sich zum Beispiel Handelsvorteile geben kann.

Sarah: Also, dass es auch attraktiv ist.

Justus: Genau. Also das wäre eine fehlertheoretische Perspektive, in der man erkennt, dass es halt auch sehr, sehr schwer für einzelne Akteure ist, ganz, ganz viel Geld in die Hand zu nehmen oder einen enormen Aufwand zu betreiben, der sie vielleicht auch zuerst in eine unsichere Position bringen wird und sie vielleicht erstmal kurzfristig Wohlstand kosten wird. Und das alles im Glauben daran, dass wenn das alle machen, es ihnen in vielen Jahrzehnten auch etwas besser gehen wird. Danach wird nicht gewählt. Also das sind nicht die Anreize, denen die Akteure unterliegen. Das heißt, man muss überlegen, wie können wir dafür sorgen, dass wir bestimmte Sachen umgehen. Wie zum Beispiel das Freerider-Problem, dass einzelne Leute nicht bei der Emissionsreduktion mitmachen und dann trotzdem davon profitieren, dass die Erde am Ende so halbwegs okay ist, ohne selbst etwas zu tun. Wie kann man das dann umgehen? Indem man sagt, es gibt schon unmittelbare Vorteile, nämlich zum Beispiel, weil wir uns dann untereinander Handelsvorteile geben, die du dadurch bekommst. Und das ist etwas, das kannst du nur bekommen, im Gegensatz zu dem Erfolg der Emissionsreduktionen, wenn du mitmachst. Und dadurch kann es eine positive Dynamik schaffen. Und das ist einfach etwas, wo man sagt, ein Problem wird gelöst und nicht gelöst, unabhängig davon, wie gut oder schlecht die Akteure sind, indem wir einfach die Systeme besser machen.

Sarah: Wo es dann auch gar nicht mehr so wichtig ist - wie in dem anderen Szenario -, wie wichtig den einzelnen Akteuren das Problem ist.

Justus: Ja, also zumindest wo man es nicht mehr davon abhängig ist. Im Optimalfall machen wir ja nicht das Schicksal der Menschheit davon abhängig, dass alle Akteure gute, verantwortungsvolle Menschen sind. Sondern wo wir als Menschheit  hinkommen wollen, ist, dass wenn wir es nicht hinbekommen, dass nicht zumindest ein Teil der Entscheidungsträger so ein bisschen problematisch Menschen sind oder da einfach mal so jemanden wie Trump ist, dann darf wirklich die Zukunft der Menschheit nicht an einem einzelnen Land, an einer einzelnen Person oder an einem kleinen Kreis von Personen hängen und es deshalb zu wirklich sehr, sehr verhängnisvollen Ergebnissen kommen. Dass wir einfach sagen, wir müssen stabilere Systeme entwickeln, um die Probleme der Menschheit zu lösen. Und ein Weg, das zu machen, wäre, zum Beispiel, nicht auf guten Willen und Verantwortungsgefühl zu setzen, sondern eben Systeme zu schaffen, die so starke Anreize setzen, dass es so große Vorteile gibt, sei das wirtschaftlich, dass selbst wenn wir denken, dass der Klimawandel eigentlich kein wichtiges Thema ist, wir trotzdem mitmachen, weil es genug Anreize dafür gibt.

Sarah: Die EU möchte ja eigentlich gerne so etwas sein, denke ich mal, was zum Beispiel Themen wie Rechtsstaatlichkeit angeht, dass Länder erst einige bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, bevor sie überhaupt berücksichtigt werden, der EU beitreten zu können. Und um dann halt alle Vorteile zu haben, die ja doch immens sind für ein EU-Land. Natürlich gibt es da, wie wir an einigen Beispielen sehen, dennoch Probleme, da auch EU-Länder problematische Dinge tun können und es super schwierig ist, diese zu ahnden. Aber vom Konzept her geht das ja in die Richtung.

Justus: Vom Konzept her geht es genau in die Richtung. Sowohl von den finanziellen Anreizen, Förderungen zu bekommen, weil man bestimmte Maßnahmen auch umsetzt,  als auch den relativ hohen Strafzahlungen, wenn man gemeinsame Vereinbarungen nicht umsetzt. Das ist ja auch ein weiteres Problem, das wir so bei den Klimakonferenzen haben: es gibt eigentlich diesen Mechanismus von Bestrafungen nicht. Und was können wir erwarten, wenn es  keine Konsequenzen hat, nicht mitzumachen? Und das ist zumindest das, was auf der EU-Ebene, in diesem regionalen Kontext, schon mal besser funktioniert als in diesem internationalen Kontext. Aber selbst in dem Welt-Kontext finden wir auch Beispiele, wo das schon mal funktioniert hat. Ein so berühmter Erfolg ist die Bekämpfung des Ozonlochs mit dem Montreal Abkommen. Und was man da nämlich gemacht hat, ist, dass Länder, die beitreten, sich schon verpflichten müssen, bestimmte Stoffe, die Ozon schädigen, nicht mehr in der Produktion einzusetzen. Also es gibt diesen Eintrittspreis, wo man überhaupt mal prüft nicht, ob die das ernstnehmen. Und dafür hat es dann aber Vorteile da mit drin zu sein. Im Vergleich zum Kyoto Protokoll, zum Beispiel, also dem Vorläufer des Pariser Klimaabkommens. Das war es so gestaltet, dass Länder des globalen Südens dem auch beitreten können, ohne die Verpflichtungen zu haben, direkt etwas an ihren fossilen Infrastrukturen zu ändern. Und gleichzeitig haben wir aber ein Konsensprinzip. Das heißt, dann haben wir also Länder, bei denen man das auch hätte anders regeln können, und zwar, indem man schon anerkennt,dass historisch gewachsene Emissionen aus Ländern des globalen Nordens gekommen sind. Und dass es vielleicht schon auch unterschiedliche Bedingungen geben muss für Länder des globalen Südens und des globalen Nordens. Aber wir regeln das zum Beispiel so, dass es erst einmal Ausgleichszahlungen von Ländern des globalen Nordens an Länder des globalen Südens gibt. Und dann nach einer bestimmten Frist, nach 10 oder 15 Jahren, gibt es aber auch wirklich unmittelbare Verpflichtungen, das Energiesystem zu transformieren. Und das ist eben nicht passiert, sondern als man dann, nachdem das Kyoto Protokoll verabschiedet worden war, versucht hat, so etwas zu forcieren, haben die Länder das blockiert und gesagt, dass es ihnen eigentlich ganz gut geht mit ihrer fossilen Energieförderung oder ihrem fossilen Energiesystem. Und beim Konsenssystem reicht ja immer wirklich nur ein einzelner Akteur, ein einziges Land. Und ab dann war kein wirklicher Fortschritt außer eizelnen kleinen Verhandlungsfortschritten überhaupt möglich.

Sarah: Wie entscheiden denn Menschen, die Wandel bewirken wollen, am besten, wen sie ansprechen und mit wem sie zusammenarbeiten? Ich hab letztens einen sehr empfehlenswertes Podcast-Interview mit Ricarda Lang gehört, der Grünen-Chefin, bei dem ZEIT Podcast "Alles gesagt?", wo man Politikerinnen und anderen Menschen - aber ich höre vor allem gerne die mit Politikerinnen - dabei zuhören kann, wie sie interessante Dinge gefragt werden und nach mehreren Gläsern Wein auch immer spannendere Sachen von sich erzählen. Auf jeden Fall hat Ricarda Lang in dem Interview darüber geredet, in was für einer interessanten Situation sie sich befunden hat während der Lützerath-Proteste. Also weil die Räumung von diesem Dorf ja eigentlich was ist, was sie persönlich auch schlecht findet. Aber weil sie eben diesen Kompromiss mit ausgehandelt hat,auch voll dahinter steht und das wirklich im Sinne der politischen Kompromissfindung sinnvoll findet, stand sie ja trotzdem dahinter, nicht hinzugehen und auch hinter dem Kompromiss zu stehen. Und gleichzeitig hat sie eben auch darüber gesprochen, dass die Grünen sich immer mehr zu einer Partei entwickelt haben, die eben auch Macht will und die eben auch in der Regierung sein will. Und die jetzt andere Verbündete hat, als sie es vielleicht noch hatte, als sie ein bisschen protestorientierter war. Das fand ich irgendwie ganz spannend.

Justus: Ja, ich glaube, es ist schon auch eine Frage, die sich alle Menschen stellen müssen, die Wandel bewirken wollen. Wir hatten ja schon vorhin darüber gesprochen, dass es halt nicht reicht, in seiner kleinen Bubble zu bleiben und zu sagen, das man die sind, die Recht haben. Sondern es geht ja wirklich darum zu überlegen, das wir diese Gesellschaft haben, die vielleicht noch nicht hinter dieser Veränderung  steht, und wie wir sie erreichen. Und das ist aber nicht nur die Frage: Wie erreichen wir die, über die wir gesprochen haben? Wie kommuniziere ich? Sondern auch die Frage: Mit wem spreche ich überhaupt? Und ein Werkzeug, was uns da helfen kann, ist das Spektrum der Verbündeten. Wo ich erst mal darüber nachdenke: Wie stehen dann verschiedene Gruppen zu dem Wandel, den ich eigentlich erreichen will? Dann gibt es so die so aktiven Unterstützerinnen, die ich vielleicht  gar nicht mehr überzeugen muss. Sondern ich muss vor allen Dingen überlegen, wie ich gut mit denen zusammenarbeite, damit ich Synergieeffekte bekomme. Noch mehr mit denen darüber  zu reden, dass das Thema wichtig ist, wäre auch so ein bisschen verschwendete Energie. Vielleicht eine andere Gruppe sind so die passiven Unterstützerinnen. Und das ist eigentlich interessant, weil das sind die Leute, die denken, dass dieser Wandel passieren müsste, die das aber gerade noch nicht öffentlich sagen oder nichts dafür tun. Und die sind natürlich besonders gut für mich erreichbar, weil ich die eigentlich gar nicht mehr überzeugen muss. Und da ist wieder die Frage: Was ist der Modus, in dem ich bin? Was versuche ich eigentlich zu erreichen? Und auch da glaube ich, ein häufiger Fehler, den Leute machen, ist zu denken, dass alle Leute, die gerade noch nicht an dem Problem arbeiten, denen fehlt es noch an Überzeugung. Und wo wir auch schon vor Jahren drüber gesprochen haben, ist, dass es vielleicht gar nicht die Überzeugung, dass das Problem wichtig ist, ist, sondern irgendwelche anderen Gründe. Und ich glaube, das gleiche gilt auch für passive Unterstützerinnen. Wenn ich da hingehe und sage, "Nimm endlich auch die Klimakrise ernst", dann denkt  die Person sich vielleicht "Mache ich ja schon, aber ich weiß nicht, was ich tun soll, ich fühle mich ein bisschen machtlos oder so". Das ist ja dann eigentlich etwas anderes. Was ich dann tun muss, ist Handlungsoptionen anzubieten und zu sagen, "Vielleicht macht dir das auch gerade Sorgen, dass wir auf diesem Pfad in diese sehr chaotische Welt sind, und vielleicht willt du etwas dazu beitragen". Hier gibt es konkrete Dinge, die du tun kannst: Zum Beispiel, du kannst mit einem lokalen Abgeordneten sprechen und ihm sagen, dass er gerade wirklich zu wenig dafür macht. Wir glauben aber auch, dass du ein verantwortungsvoller Mensch bist und damit wir alle aus unserem Wahlkreis, die im Sportverein sind oder so, dich wieder wählen würden, müssten wir sehen, dass du dich auch für folgende bestimmte Themen einsetzt. Und so weiter. Dann habe ich eine konkrete Handlungsoption, die gleichzeitig auch glaubwürdig ist, dass sie was verändern kann. Ich glaube, es sind häufig beide Dinge, die Menschen brauchen, um auch in Aktion zu treten. Zum einen zu hören, dass es etwas Konkretes gibt, was ich tun kann. Und zum anderen auch zu glauben, dass das, was ich tun kann, auch zur Größe des Problems passt. Aber ich glaube, da spielt auch ein anderes interessantes Phänomen rein. Und zwar, warum Leute ihre Meinung nicht ändern. Und ein häufiger Grund kann sein, dass sie kognitive Dissonanz spüren. Nämlich dass sie sehen, dass es da dieses riesige Problem gibt, aber eigentlich auch gerade Dinge tuen, die zum Beispiel zu den Problemen beitragen, oder ich denken, dass sie gar keine Dinge tun können, um das Problem zu lösen. Denn wenn ich jetzt denke, dass das Problem tatsächlich so schlimm ist, wie es vielleicht auch einfach sachlich gesehen ist, dann ist die einzige Möglichkeit, damit umzugehen und entweder zu denken, dass ich ein schlechter Mensch bin, oder zu denken, dass ich gegenüber dieser riesigen Bedrohung komplett machtlos und nur ein Spielball in dieser Welt bin. Oder ich kann denken, so schlimm ist das Problem bestimmt nicht. Dann kann ich meine Identität behalten, dann fühle ich mich auch nicht so machtlos und nicht so ängstlich, und so weiter. Was tue ich also? Und ich glaube, dass es, wenn es um so fundamentale psychologische Bedürfnisse geht, gar nicht verwunderlich ist, dass Leute dann das Problem herunterspielen. Aber wenn ich das verhindern will und wenn ich jemanden dazu bekommen will, dieses Problem auch wirklich ernst zu nehmen, dann kann ich sagen, "Das Problem ist tatsächlich so groß und schlimm, aber du kannst auch wirklich Dinge tun, die gemeinsam mit anderen eine echte Veränderung bewirken". Du kannst an diesem Problem letztendlich aktiv sein und auch ein Akteur des Wandels werden. Und dann gibt es einfach so eine heroische Position, die ich ihn anbieten kann. So, du kannst Teil der Menschen werden, die helfen, die Menschheit vor diesem riesigen Problem zu schützen. Das ist so ein konkreter Ansatz für so passive Unterstützerinnen. Und dann gibt es noch die passiven Gegnerinnen. Und das sind Leute, die denken, dass diese ganzen Leute, die immer von der Klimakrise reden, ihnen auf die Nerven gehen. Und die vielleicht bestimmte Gründe haben, das Problem nicht so ernst zu nehmen. Und da gibt es Leute, die wir vielleicht auch erreichen können und die zum Beispiel erst mal zu passiven Unterstützerinnen machen können. Wo ja auch erstmal die Frage ist, was eigentlich realistisch ist. Und ich glaube, da kann auch eine Antwort sein zu sagen, dass es diese aktiven Gegnerinnen gibt, die irgendwie sagen, das Problem gibt es gar nicht oder wir müssen zumindest nichts tun oder was auch immer. Wie kann ich dafür sorgen, dass sich diese Leute, die gerade eher passiv sind, diesen Leuten nicht anschließen? Indem wir zum Beispiel sagen so, die stellen diese Behauptungen auf, aber ich kann dir zeigen, dass die gar nicht stimmen. Und diese Leute, die behaupten, dass es das Problem nicht gibt, sind zum Beispiel nicht vertrauenswürdig. Da geht es ja letztendlich auch wieder darum, dass es immer bestimmte Menschen geben wird, aus welchen Gründen auch immer, die Gegner einer Veränderung sein werden. Weil sie zum Beispiel in dem aktuellen Zustand einfach viel profitieren und in dieser neuen, veränderten Welt einfach schlechter dastehen würden. Also so sehr ein bestimmter Wandel auch gut für die Gemeinschaft insgesamt ist und das Gemeinwohl fördert, gibt es selten Wandel, bei dem wirklich alle nur gewinnen, sondern es gibt auch immer diese Gruppe, die an einem bestimmten Wandel verliert. Das ist vielleicht auch okay, weil es nicht gut ist, durch fossile Brennstoffe oder so reich zu werden. Aber es ist auch nicht realistisch, dass wir diese Gruppe dazu bekommen werden, flammende Unterstützer unseres Wandels zu sein. Sondern wir müssen vielleicht auch einen Wandel gegen diese eine spezifische Gruppe durchsetzen. Und das ist eigentlich so ein bisschen Konflikttheorie, wo wir sagen, nur indem wir irgendwie diese Schwierigkeiten aus dem Weg räumen und nur, indem wir die Systheme besser designen, werden wir es auch nicht schaffen, alle Leute zu überzeugen. Und am Ende hat Wandel auch immer ein gewisses Element davon, sich gegen eine kleine Gruppe von Leuten durchzusetzen, die einfach immer Gegnerinnen dieses Wandels bleiben werden.

Sarah: Und die passiven Gegnerinnen zum Beispiel durch Kompromisse zumindest ein bisschen besänftigen.

Justus: Ja, genau. Zumindest um zu verstehen was die denn wollen, was ihnen wichtig ist. Und auch zu überlegen: was sind auch vermeidbare Konflikte? Also wenn ich jetzt zum Beispiel jemanden habe, der im Braunkohletagebau oder so arbeitet, dann ist das ja erst mal ein verständliches, legitimes Interesse, wenn dieser Mensch sagt, ich möchte gerade nicht meinen Job verlieren und damit meine meine Grundlage, mein Leben zu bestreiten. Aber wenn ich jetzt sage, ist aber eigentlich alles egal, wir entlassen diese Leute jetzt alle direkt, weil die Klimakrise so viel wichtiger ist und da so viel mehr Menschenleben auf dem Spiel stehen, dass es akzeptabel ist, dass es diesen Leuten dann erst mal ein paar Jahre schlecht geht. Dann ist das natürlich ein völlig, völlig unnötiger Konflikt, weil wenn mir die Lösung von diesem Thema so wichtig ist und wenn es mir irgendwie wichtig ist, auch Widerstand dagegen abzubauen, dann muss ich diesen Leuten auch wirklich eine gute Perspektive anbieten. So, ihr werdet jetzt aufhören, in dieser Industrie zu arbeiten, aber es gibt auf jeden Fall - und jetzt bin ich echt kein Experte, wie man das am besten gestaltet - aber es gibt ein gutes Übergangsgeld. Wir sorgen dafür, dass es Firmen geben wird in dieser Region, die sich da auch ansiedeln, die ähnliche Fähigkeiten brauchen wie das, was ihr gerade macht. Also denen eine Perspektive geben, auf die diese Leute auch wirklich drauf vertrauen können, dass es keine blumigen Versprechen sind, die da aus der Politik kommen, sondern da auch harte Fakten geschaffen werden. Damit die dann letztendlich sagen können, vielleicht bin ich immer noch nicht begeistert von diesem Wandel, aber ich muss gerade nicht mehr mit allem, was ich habe, diesen Wandel bekämpfen, weil er so existenziell mich in meinem Lebensmodell bedroht. Ich glaube, wenn man solche solche Hürden aus dem Weg schaffen kann, kann man viele Leute, die sonst vielleicht in einen aktiven Widerstand gegen eine an sich sinnvolle Veränderung gehen würden, zumindest an einen Punkt bringen, wo sie akzeptieren, dass das langfristig sinnvoll ist. Sie sich aber auch als Individuum in ihren eigenen Bedürfnissen ernstgenommen fühlen.

Sarah: Also auch anzuerkennen, dass es durchaus legitime Anliegen sein können, die Menschen haben, die gegen etwas sind. Also nur, weil das übergeordnete Ziel, Klimawandel zu bekämpfen, ein super, super, super wichtiges Anliegen ist, heißt es nicht, dass die individuellen Anliegen nicht auch angegangen werden müssen.

Justus: Richtig. Und ich glaube, was da auch immer interessant ist: Auf welcher Ebene setze ich auch bei der Problemlösung an? Und ich glaube, das ist generell ein gutes Mindset, um über Veränderungen nachzudenken: Wer sind denn wirklich notwendige Gegnerinnen, bei denen man sagt, es gibt nur sehr, sehr geringe Möglichkeiten, dass diese Leute nicht am Ende dagegen sein werden? Und was sind aber auch Personen oder Unternehmen, Gruppen usw., bei denen es von den Bedingungen des Wandels abhängt? Und wenn wir zum Beispiel darüber nachdenken, einen Wandel in der Mobilität zu erreichen, dann haben wir ölfördernde Unternehmen, deren komplettes Geschäftsmodell das einfach ist. Und natürlich, die könnten vielleicht auch auf andere Energieträger umstellen usw., aber wahrscheinlich ziemlich viel ihrer Infrastruktur ist schon darauf ausgerichtet, spezifisch Öl zu fördern, und für die ist es relativ schwierig da rauszukommen. Wahrscheinlich wollen sie es auch gar nicht. Da müssen wir auch immer überlegen, wer eigentlich Macht und Einfluss in der Gesellschaft hat. Am Ende ist natürlich die Frage, woran Entscheidungen letztendlich auch ausgerichtet werden. Da natürlich auch, wer darauf Einfluss hat. So ein bisschen diese Idee: Wer stabilisiert eigentlich den Status Quo? Und ein Denkmodell sind da die "Säulen der Macht". Wenn wir überlegen, dass es so einen bestimmten Status Quo gibt, den wir ein bisschen ins Rollen bringen wollen, aber irgendwas stützt dagegen und will, dass wir da bleiben, wo wir gerade sind. Und da ist natürlich die wichtige Frage: Wer ist denn in einer bestimmten Veränderung auch letztendlich essenziell? Und wenn wir sagen, wir wollen die Mobilität verändern und nehmen an, das wird auch irgendeinen Anteil von Individualverkehr haben. In Deutschland werden viele Autos gebaut. Dann wird es so fundamental nicht gehen, ohne dass sich irgendwas an der Automobilindustrie ändert. Und da ist jetzt ja die interessante Erkenntnis, dass, während bei den ölfördernden Unternehmen es praktisch der absolut existenzielle Teil des Geschäftsmodells ist, Öl zu fördern, es bei einem Automobilunternehmen so ist, dass es zwar für sie einfacher ist, einfach weiter Verbrennungsmotoren zu bauen, weil ihre gesamte Produktion darauf ausgerichtet ist - und deshalb sind sie erstmal wahrscheinlich auch dagegen, das jetzt komplett umzustellen -, aber an sich können sie auch weiter Autos verkaufen, wenn diese Autos mit einer anderen Antriebstechnologie ausgestattet sind. Das heißt, wenn ich auf dieser Ebene ansetze, habe ich vielleicht größere Chancen, wirklich auch den Wandel im Sinne des Ölverbrauchs zu erreichen.

Sarah: So die Frage von vorhin: Wen spricht man am besten in Zeiten sozialen Wandels an? Und wer sind eigentlich die Akteure, an denen es am Ende hängt? Also das zum Beispiel so ein Gesetz gegen Verbrennungsmotoren dann einen Trickle Down-Effekt hat.

Justus: Ja, in einer gewissen Weise also zu überlegen, wer in der Gesellschaft zwar vielleicht hohe Kosten dafür hat, die eigene Handlungsweise umzustellen, aber letztendlich nicht in seiner Existenz bedroht ist. Und wer nur weiterexistieren kann, wenn die Welt so bleibt, wie sie ist? Und dann letztendlich kann man ja häufig sagen, dass wir versuchen die Wurzel des Problems anzugehen und wirklich bei den ultimativen Verursachern, zum Beispiel den fossilen Unternehmen oder so, anzusetzen. Aber die Frage ist halt: Ist das die vielversprechendste Ebene, wenn wir wissen, dass es für die so extrem schwierig ist, sich zu verändern? Oder kann ich eher weiter oben, upstream, ansetzen und kann ich vielleicht dafür sorgen, dass die Gesellschaft, in der wir leben, das Wirtschaftssystem, in dem wir leben, das Produkt, das diese Unternehmen bereitstellen, nämlich Öl, gar nicht mehr so sehr braucht? Und es gibt auch ein schönes historisches Beispiel von genau diesem Denken, und das ist die Paper Campaign. Dort haben Umweltaktivisten sich überlegt, dass sie Regenwaldrodungen stoppen wollen, indem sie Papier aus Regenwaldrodung bannen. Dann war die Frage: Wie erreichen wir das jetzt? Und ein typischer Ansatz wäre wiederum gewesen so, diese illegalen Holzfällerunternehmen irgendwie anzugehen und an den Pranger zu stellen oder was auch immer. Aber das Problem ist, dass das das gesamte Geschäftsmodell von diesen Unternehmen, diesen illegalen Konglomeraten, ist, die vielleicht nicht so viel darauf geben, wie gut ihre Marke eigentlich in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Das ist deren eins Geschäftsmodell und das können die nicht so wirklich gut verändern.

Sarah aus dem Off: Hallo! Ein kurzer Hinweis, bevor es weitergeht: Justus spricht gleich von Druckerherstellern, da hat er sich aber vertan. Eigentlich ging es damals um Bürowarenhersteller, wie er später korrigiert hat. Weiter gehts.

Justus: Da ist dann wieder diese Frage: Warum kriegen die da überhaupt Geld für, dass die irgendwie den Regenwald zerstören.Weil es halt bestimmte Abnehmer gibt, zum Beispiel Hersteller von Druckern, die relativ viel Papier einkaufen. Druckerhersteller wiederum verkaufen aber an den allgemeinen Markt und ich zum Beispiel als Konsument oder Konsumentin möchte eigentlich nicht so gerne Papier aus dem abgeholzten Regenwald kaufen. Das heißt, wenn ich eine öffentliche Kampagne fahren kann - und das haben die dann gemacht bei der Paper Campaign - in der diese großen Abnehmer von diesem Papier unter Druck gesetzt werden, indem man sagt, wir machen öffentlich, dass ihr hier die Regenwälder mitabholzt, mit eurem Papiereinkauf. Das hat wiederum dazu geführt, dass das Image sich verschlechtert hat. Bei Unternehmen, die es gekümmert hat, wie ihr Image ist. Dann haben die sich halt verpflichtet und irgendwie eine Erklärung geschrieben, in der sie sagen, wir machen das nicht mehr. Und das wird dann auch nachgeprüft. Und so weiter. Und damit wiederum verschwindet dann ja dieser Markt für diese Leute. Und das haben dann einzelne Unternehmen gemacht bis es nach und nach zu einem allgemeineren Industriestandard geworden ist. Das ist ja auch wiederum eine interessante Sache, dass wenn ich es schaffe, dass ein einzelnes Unternehmen so ein bisschen da rein gepusht wird am, zum Beispiel ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, was das Einkaufsverhalten von ihren Produkten oder von ihrer Produktion angeht. Was vielleicht auch erstmal teurer für sie ist. Dann haben sie ja ein Interesse daran, dass diese Regel, zu der sie mit dieser Kampagne so ein bisschen gezwungen wurden, eigentlich auch für alle gilt. Und jetzt ist etwas Interessantes passiert, weil nämlich dieser einflussreiche Konzern, der mir vorher vielleicht ein bisschen im Weg stand, jetzt auf einmal erzwungenermaßen zu meinem Verbündeten geworden ist. Und jetzt sagt, dass er eigentlich auch ein Interesse daran habe, dass das Spielfeld für alle gleich ist. Und ich setze mich jetzt vielleicht dafür ein, dass das ein allgemeines Gesetz wird. Und auf einmal habe ich die Lobby Power von einem Konzern hinter mir als kleiner NGO und Veränderungen, die ich eigentlich initiiert habe.

Sarah: Was wir jetzt schon ein paar Mal angesprochen haben, was ich aber gerne noch einmal als eigenes Konzept herausstellen möchte, ist diesen, deiner Meinung nach, Fehler, einfach nur immer mehr Leute erreichen zu wollen. Hauptsache mehr Leute wissen von einem Thema, dann wird sich schon was verändern.

Justus: Ja, also ich glaube, da stecken eigentlich so zwei systematische Fehler drin. Der erste systematische Fehler ist darin, würde ich sagen, zu denken, mehr Leute, und zwar egal welche, sind immer besser. Und da glaube ich, was wir häufig erleben können, ist eigentlich fast so eine gesellschaftliche Marginalisierung. Das heißt, es wird gesamtgesellschaftlich weniger ernst genommen, obwohl es eine höhere Mobilisierung gibt. Also mehr Leute fangen an, sich dafür einzusetzen. Und das wäre zum Beispiel der Fall, wenn ich sage, ich organisiere jetzt Proteste. Aber es ist ganz, ganz klar die kommen nur aus einer spezifischen Gesellschaftsgruppe. Junge, akademisch linke Menschen...

Sarah: In Großstädten.

Justus: ...in Großstädten. Weil dann denke ich, es geht gerade um so ein Partikularinteresse. Es geht gar nicht darum, dass die Gesellschaft das will und letztendlich eine Gesellschaft gegenüber der Politik die Forderung formuliert, dieses Problem ernster zu nehmen. Sondern es ist eigentlich so eine kleine Gruppe, die irgendwie - und da kann man dann ja wieder eine schöne Geschichte erzählen - sehr privilegiert ist, und die sich dann halt mit solchen großen, wichtigen, weltweiten, die Zukunft betreffenden Themen beschäftigen können, die versuchen uns das jetzt gerade aufzuzwängen. Statt sich mal mit den echten, mit den richtigen, mit den unmittelbaren Problemen zu beschäftigen. Wenn man es aber wiederum schafft zu sagen, dass es eigentlich darum geht, nicht nur diese kleine Gruppe sichtbar zu machen, sondern wirklich eine Breite der Gesellschaft für dieses Thema zu mobilisieren. Denn das ist ja ein Thema, wo man sagen kann, es betrifft jeden Menschen, der Kinder oder Enkel hat oder vielleicht vorhat, Kinder zu bekommen, denn das sind ja Menschen, die groß in dieser Welt werden werden. Was ja auch eine der wichtigsten Sachen ist, die Menschen so in sich haben. Dass ich will, dass es meinen Kindern gut geht, dass es ihnen irgendwie möglich ist, vielleicht auch ein besseres Leben haben, aber auf jeden Fall kein drastisch schlechteres Leben als das, was ich gerade selbst habe. Das heißt, ich habe eine Gesellschaft, die echt was zu beschützen hat und wenn wir es schaffen, diese Sorge auch in der Breite der Gesellschaft wachzurufen und die dann auch zu mobilisieren, dann sieht man auf einmal einen Protest, der nicht nur aus jungen Akademikerinnen besteht, sondern auch aus Arbeiterinnen und eher konservativen Menschen, und bei dem es auch Aktionen auf dem Dorf gibt und so weiter. Dann kann man dieses Thema auch politisch nicht mehr einfach so wegwischen. So im Sinne von, hier sind diese jungen Menschen, die noch keine Ahnung vom Leben haben, die sich darum sorgen, aber eigentlich ist es ja gerade kein Thema, sondern weil man legitim auch sagen kann, was ja auch wieder so ein, wenn man überlegt, was denn so die Währung von von politischen Wandel, dass einer so was eigentlich macht im Sinne von Und dann kann man überlegen in der Demokratie, wie gewinnt man und wie verliert man Macht. Also ein Weg ist zum Beispiel Wahlen und immer da, wo die Parteien auch gemerkt haben und ich glaube, das ist jetzt auch passiert in den letzten Jahren mit Klima so, hm, okay, auf einmal wenden sich Leute von uns ab, weil sie denken, dass wir nicht genug für Klimaschutz machen. Da wird es auf einmal so: Wir verlieren unseren Platz am Tisch, wo wir irgendwie Entscheidungen treffen können. Und da treffen sich die Parteien da, damit es dann auch auf einmal interessant. Und das andere ist natürlich auch so Legitimität, auch über Macht hinaus, wenn man so sagt als Bewegung zum Beispiel. Ich kann ja auch gerade wirklich sprechen für große Teile der Bevölkerung, weil auch sichtbar ist, dass große Teile der Bevölkerung auch hinter mir stehen, auch irgendwie da sind bei den Aktionen, dass wir so raus aus der Bubble denken und dann wiederum natürlich auch zu überlegen bei bestimmten Themen, die ich irgendwie versuche, wo ich auch versuche, Fortschritt zu erreichen. Da sind natürlich auch wiederum bestimmte Gruppen besonders wichtig. Also wenn ich jetzt in der Landwirtschaft was verändern will, dann sag so wir haben hier diese riesige Gruppe von Handwerkerinnen, die auch denken, dass sich was in der Landwirtschaft tun soll. Es so na ja, okay, ist zwar cool, dass sie sich da Gedanken gemacht haben, aber wahrscheinlich wahrscheinlich. Jetzt möchte ich sagen, in dieser Entscheidungen vor allen Dingen auch mit Landwirtinnen in Kontakt zu treten, deren Bedürfnisse zu verstehen und zu überlegen, so kann ich die letztendlich auch für Fürsprecherinnen für diese Veränderung machen. Und ich glaube, da ist wieder auch ein wichtiges Thema, dass wir immer wieder sehen: "Wer sagt" ist häufig genauso wichtig oder manchmal sogar wichtiger als genau was gesagt wird. Also stellen wir uns mal vor: ich bin jetzt Teil von einer Klimabewegung und ich will jetzt was erreichen. Oder ich bin Teil von einer NGO oder so und sag so okay, ich junger, progressiver Mensch versuche mit jemandem zu reden von der konservativen Partei und sage: Ich habe sie nie gewählt, ich werde sie niemals wählen. Und es ist eigentlich auch egal. Das mache ich so oder so nicht. Egal was Sie machen beim Klimaschutz. Aber trotzdem sollten Sie was anders machen in der Landwirtschaft, wo ich keine Ahnung von habe, aber mir sicher bin, weil ich habe Studien gelesen. Und so weiter. Wie gut funktioniert das? Sowohl als Erzählung als auch: was kann ich gewinnen, was verändern, auch als Politikerinnen? Wohingegen, wenn jemand zu mir kommt und sagt Ich bin Landwirt, Landwirtin und sie sagen immer so: Na ja, die Landwirtinnen, die würden das nicht mitmachen oder so, aber ehrlich gesagt, ich würde das mitmachen, es muss nur bestimmte Bedingungen haben, die für mich funktionieren. Und ich bin auch jemand, der hat immer ihre Partei gewählt. Aber ich überlege jetzt zum ersten Mal, das anders zu machen und auch irgendwie alle Leute aus meinem Dorf, also alle Leute. Das ist unrealistisch. Aber so viele Leute, die eigentlich immer ihrer Partei treu waren, die überlegen das gerade zu ändern, weil: Wir sehen gerade in unserer tagtäglichen Arbeit, wie uns der Klimawandel betrifft. Und wir sind gerade besorgt, dass die Politik zu wenig macht. So jemand ist viel, viel glaubwürdiger für so eine Person. Und da geht es ja auch auf einmal um etwas. Ein lokaler Abgeordneter oder so, der will ja wiedergewählt werden. Und auf einmal gibt es Leute, die auf einmal sagen: Ich überleg eigentlich vielleicht, meine Unterstützung dir zu entziehen. Da geht es auf einmal um was.

Sarah: Ja, oder auch in dem Kontext, in dem wir vorhin waren, mit der eigenen Familie. Also wenn ich jetzt zu meiner Familie gehe und ihnen von einem Thema erzähle, das mir wichtig ist, dann wird wahrscheinlich auch sehr viel eher zugehört, als wenn das irgendwelche random Leute im Fernsehen machen oder Politikerinnen von Parteien, die sie nicht wählen.

Justus: Oder irgendjemand spricht mich auf der Straße an, wenn ich eigentlich gerade irgendwo dringend hin muss. Und versucht, mich als wildfremder Mensch im Vorbeigehen von irgendeinem Thema zu überzeugen. Dann merke ich ja selbst, dass meine emotionale Reaktion als jemand, dem es echt wichtig ist, dass sich Dinge in der Welt verändern soll, ist, dass ich in dem Moment jetzt nicht wirklich dafür offen bin.

Sarah: Weil ich mich auch frage, warum sollte ich dieser Person jetzt vertrauen.

Justus: Ja, auch das. Das ist, glaube ich, sowieso auch ein weiteres gutes Mindset: Warum ändern Menschen ihre Meinung oft? Weil sie mit Leuten sprechen, denen sie schon vertrauen, die ihnen wiederum vernünftig erscheinen. Und die ihnen das gut erklären können. Also wo der Beziehungsaufbau schon passiert ist. Und deswegen kann es für so eine Bewegung, einen Think Tank, eine NGO häufig auch hilfreich sein zu sagen, "Ich gehe jetzt nicht direkt hin zu dem Entscheidungsträger, der Entscheidungsträgerin, die ich überzeugen will, sondern ich gehe sozusagen diesen Umweg und überlege, wer ist denn so im Dunstkreis von dieser Person?". Spreche mit der über das Thema, die vielleicht auch mehr Zeit hat, leichter erreichbar ist. Und dann zu sagen, dann geht diese Person vielleicht. Oft geht es gar nicht darum, da auch Leute zu überzeugen, sondern einfach schon Leute zu finden aus diesem Dunstkreis, die bereits sagen, das es gerade ein Thema ist, das zu wenig Beachtung in meinem Umfeld findet. Und die zu ermutigen, dann das Gespräch zu suchen und basierend auf dieser bestehenden Beziehung letztendlich auch ein bestimmtes Thema voranzubringen. Also sich so ein bisschen durch bestehende Vertrauensnetzwerke zu bewegen.

Sarah: Ich find das super nachvollziehbar, aber ich kriege gleichzeitig bei diesem Thema ein leicht mulmiges Gefühl, weil das ja auch bedeutet, dass es sehr solche psychologischen Dynamiken ausnutzt, die eigentlich ja teilweise ein bisschen fragwürdig sind. Also dass zum Beispiel bestimmten Menschengruppen weniger zugehört wird als anderen, zum Beispiel People of Colour oder in manchen Bereichen noch Frauen oder andere Gruppen, die es irgendwie schwerer haben, Gehör zu finden. Und biegt man sich nicht so ein bisschen daran vorbei und sagt, wir sollten halt mit denen arbeiten, denen Leute eh schon vertrauen und gar nicht erst versuchen, anderen Leuten Gehör zu schenken.

Justus: Ja, das kann ich, kann ich gut verstehen. Also ich glaube, es ist auch eine total berechtigte Sorge und dass es auch wichtig ist, wann immer ich versuche, in einem bestimmten Thema irgendwie Veränderungen zu erreichen, mitzudenken, welchen gesellschaftlichen Kontext ich irgendwie verfestige oder verändere. Und ich glaube, es kann und sollte auch ein Projekt sein, marginalisierte Gruppen aufzubauen und als öffentliche Fürsprecher für ein Thema einzusetzen. Ich glaube, das ist ein in sich selbst wichtiges Projekt. Aber selbst wenn ich in einem bestimmten Rahmen denken würde und sage, ich wähle bewusst nur Frauen oder nicht-binäre Personen aus, um diese Arbeit zu machen, dann kann ich mich dann trotzdem sogar in diesem Frame fragen: Unter den Menschen, wen ich schicke ich jetzt dahin? Und dann vielleicht auf dem Dorf lieber doch die Vereinsvorsitzende aus dem lokalen Sportverein und halt nicht eine Person, die ganz weit weg ist von von einem Abgeordneten.

Sarah: Ja, stimmt. Also den Aspekt vielleicht auch einfach direkt mitdenken.

Justus: Und ich glaube, da ist die Frage, wer wen repräsentiert, wer spricht und was das auch in unserer Gesellschaft macht. Und gleichzeitig innerhalb dieser Fragen ist auch dann wichtig: Wie verschaffe ich mir Gehör? Und wie mache ich das auch dadurch, dass ich zum Beispiel auch Menschen aus verschiedenen politischen Lagern oder aus verschiedenen Altersschichten oder sozialen Herkunft miteinbeziehe?

Sarah: Ich finde es immer wieder sehr faszinierend, Dynamiken in der öffentlichen Debatte zu beobachten. Also ich arbeite ja seit mehreren Jahren mal mehr und mal weniger im Nachrichtenjournalismu und da kriegt man ebenam Tag dutzende Emails und bekommt jede einzelne Reaktion von jedem Politiker, jeder Politikerin, zu jedem Thema mit. Und das war total faszinierend. Wer reagiert wann wie worauf? Und wie äußert sich das dann auch abgesehen von der Politik in Protest? Wenn dann irgendwelche Interessensgruppen sich zu bestimmten Themen äußern, wenn es dann Demos gibt, wie groß die ausfallen, welche Gegendemos es gibt, wie das wiederum von den Medien aufgegriffen wird? Dieser ganze Aspekt der öffentlichen Debatte ist ja ein sehr volatiler und ein sehr prägender, auch für, würde ich mal vermuten, sozialen Wandel. Also ich glaube, das ist eines der wichtigsten Dinge. Wenn ihr jetzt in eurer Arbeit Akteurinnen begleitet und da eben Bildungsarbeit leistet, inwieweit spielt da dieser Aspekt der öffentlichen Debatte mit rein? Wie beobachtet ihr das? Wie wichtig ist das für euch?

Justus: Ja, ich glaube auch da ist wieder eine wichtige Frage: Welche Faktoren beeinflussen eine bestimmte Art von Wandel? Was ist die geeignete Arena für welche Art von Frage? Da gibt es bestimmte Dinge, die irgendwie öffentlich verhandelt werden müssen, weil sie auch viele Menschen betreffen. Wenn wir zum Beispiel auf einmal die Mobilität umstellen und dann sagen: Bitte fahr nicht mehr mit dem Auto. Oder wir sogar irgendwie über Besteuerung, was auch immer, die Bedingungen davon verändern, wie finanziell einfach es ist, mit dem Auto zu fahren vs. öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Und dann braucht es natürlich auch eine öffentliche Debatte. Und das ist letztendlich auch eine Sache, wo man sagt, die Leute müssen mitgehen. Man muss die Bedingungen schaffen, dass es finanziell möglich ist oder dass es auch überhaupt praktisch möglich ist, wie dass es zum Beispiel einen Bus gibt oder so, der dann auch wirklich fährt. Aber natürlich auch erklären: Warum gibt es diese Veränderung? Und da ist natürlich eine öffentliche Debatte sehr wichtig. Und wenn es dann letztendlich auch um so Streitfragen geht, zum Beispiel wo jetzt investiert wird. Also ist das Individualverkehr oder ist das öffentlicher Nahverkehr? Und das sind so Debatten, die öffentlich ausgetragen werden. Dann gibt es natürlich andere Fragen, die vielleicht eher so technischer Natur, aber doch irgendwie sehr wichtig sind. Häufig, wenn es um so technische Richtlinien geht zur Errichtung von Windparks oder so. Das eignet sich jetzt nicht für eine riesengroße öffentliche Kampagne. Und es ist  vielleicht auch gar nicht der beste Weg, diejenigen zu erreichen, die man davon überzeugen will, dass bestimmte technische Richtlinien große Hindernisse für den schnelleren Ausbau von Windparks schaffen. Sondern dass vielleicht tatsächlich ein gezieltes Informieren besser ist, wie es zum Beispiel Think Tanks machen, die irgendwie einen Report schreiben und den den entsprechenden Leuten schicken.

Sarah: Also in die öffentliche Debatte einzugreifen, ist auch einfach nicht immer eine gute Idee, um das eigentliche Ziel zu erreichen.

Justus: Ja, ich glaube, das kommt letztendlich wieder dahin, dass ein Weg über Wandel nachzudenken ist, zu sagen so, ich bin irgendwie ein Akteur und habe immer bestimmte Aktionsformen. Und das ist die einzige Sache, die ich immer mache, egal welches Thema gerade ist. Und wenn ich nachdenke, was ist eines der ganz großen Mindsets, die wir versuchen zu vermitteln, dann ist das so eine Aktionstheorie oder eine Theory of Action, bei der du sagst: Ich will bestimmte Dinge tun, ich will jetzt eine Kampagne machen und dann suche ich mir ein Thema und dann mache ich eine Kampagne. Also letztendlich ist die Aktionsform sehr, sehr leitend. Und es ist  vielleicht auch eine sehr reaktive Art insgesamt zu versuchen, Wandel zu erreichen, die auch manchmal funktionieren kann. Das Gegenteil dazu ist so eine Theorie des Wandels und ich glaube, da ist ein wichtiges Mindset, vom Ziel zum Staat zu denken und zu überlegen, wenn wir uns mal vorstellen, es ist anderthalb Jahre später und dieser Wandel ist erfolgreich erreicht worden, diese bestimmte Entscheidungen ist auf eine andere Weise getroffen worden. Was ist dann davor passiert? Davor haben bestimmte Entscheidungsträger eben anders abgestimmt. Und dann zu überdenken, wer genau und wie viele müssten da eigentlich ihre Meinung geändert haben? Wie bilden die sich eigentlich eine Meinung? Die sprechen mit verschiedenen Expertinnen, die lesen verschiedene Reports und so weiter. Im Moment gibt es nur Reports, die sagen, alles sollte so bleiben wie es ist. Also was jetzt zum Beispiel gerade vor allem fehlt, sind überhaupt gute Alternativvorschlag, die man auch in die Abstimmung einbringen kann. Das heißt, es müsste ein Alternativvorschlag vorliegen an diesem Entscheidungspunkt. Warum liegt denn ein Entscheidungsvorschlag vor? Vielleicht weil es Forschung dazu gab, also weil Expertinnen sich hingesetzt haben und das ausgearbeitet haben. Dann muss irgendwie aber dieser Entscheidungsvorschlag auch noch von den richtigen Leuten gelesen werden. Und so weiter und so weiter. Und letztendlich kann ich mir in ganz vielen Stufen überlegen, was denn all die Dinge sind, die passieren müssen, um es hinzubekommen, dass am Ende ein bestimmter Wandel passiert. Und das kann mich dann ins Hier und Heute führen, wo ich dann sage, das, was ich eigentlich gerade machen muss, ist mir eine Gruppe von Expertinnen zu suchen und sie davon zu überzeugen, dass es gerade Sinn ergibt, ihre bisher vielleicht ein bisschen abstrakte Forschung in konkrete Handlungsvorschläge an die Politik umzusetzen. Und das ist die eine Aktion es gerade braucht. Die ist vielleicht etwas ganz anderes als das, was ich eigentlich gemacht hätte, nämlich Petitionen und Kampagne oder so, aber der vielversprechendere Weg, den Wandel zu erreichen. Weil es das adressiert, was gerade den entscheidenden Unterschied dafür macht, ob dieser Wandel passiert oder nicht.

Sarah: Du hast gerade schon sinnvolle Ziele angesprochen und wir haben sehr viel über die Werkzeuge geredet, die es so in diesem Arbeitsfeld gibt. Aber vielleicht noch mal ein bisschen präziser: Wie findet man überhaupt ein gutes Ziel? Auch wenn wir jetzt zum Beispiel wissen, dass der Klimawandel ein super wichtiges Anliegen ist, gibt es ja trotzdem noch mal sehr, sehr viele Zwischenziele bis man dahin kommt, dass zum Beispiel das 1,5 Grad Ziel oder so erreicht wird. Und wie findet man diese Zwischenziele?

Justus: Ja, ich glaube, das ist wirklich eine total entscheidende Frage. Und ich glaube, generell kann man darüber nachdenken, dass wie viel die Arbeit, die ich mache, am Ende wirklich bewirkt ist eigentlich nur eine Funktion daraus, wie viel die Zielerreichung bewirken kann, also wie viel Emissionen eingespart werden, falls das Ziel umgesetzt werden und dieser eine bestimmte Wandel passieren sollte, und wie gut ich darin bin, zu diesem Wandel beizutragen. Und ich glaube, auf dieser ersten Ebene: Welches Ziel wähle ich aus? Da sind die Unterschiede riesig groß. Und das heißt, ich muss vielleicht einmal verstehen, wenn ich jetzt sage, dass mein Ziel innerhalb von Klimawandel ist, Emissionsminderungen zu erreichen. Dann ist eine Sache, die wir zum Beispiel auch machen können, ein Forschungsprojekt, das sich mit dieser Frage befasst, was kann die EU eigentlich gerade beitragen kann, um möglichst stark zur globalen Dekarbonisierung beizutragen. Und da gucken wir uns an, so bis zum Jahr 2100, aus welchen Sektoren, welchen Regionen, Ländern und so weiter, wir welchen Umfang an Emissionen erwarten? Und einmal zu überlegen, wenn wir auf diesem Status Quo-Pfad bleiben, wo zwar ein bisschen Emissionsreduktion gibt, aber nicht genug, warum landen wir dann in dieser problematischen Welt? Also wo kommen denn diese Emissionen her, die das auslösen? Und dann sehen wir schon, dass bestimmte Regionen und bestimmte Sektoren dafür vielleicht auch besonders wichtig sind und einen besonders großen Effekt darauf haben. Und was wir da zum Beispiel sehen können, ist, dass wir gerade im Moment erwarten, dass in Ländern globalen Südens einfach noch mal der Energiebedarf deutlich steigen wird. Zum einen durch höheren individuellen Energiebedarf, wenn Leute aus der Armut rauskommen, was ja erst mal eine gute Sache ist, aber vielleicht auch einfach durch Wirtschaftswachstum. Und da erwarten wir relativ große Emissionsanstiege. Und jetzt also die Fragen, was kann die EU dann eigentlich zu globaler Dekarbonisierung beitragen? Das ist schon mal ein ganz interessanter Perspektivwechsel, den wir haben. Vielleicht geht es gar nicht nur darum, dass die EU so schnell wie möglich klimaneutral wird. Das ist praktisch so 95% der Klimadebatte gerade: Die EU muss so schnell wie möglich klimaneutral werden. Aber eigentlich ist die EU ja auch ein globaler Player. Also ein großes Thema bei den letzten Weltklimagipfel nwar auch immer die Frage von so finanzieller Kompensation, wo man sagen kann, die Länder des globalen Nordens haben einfach historisch die meisten Emissionen verursacht. Die müssen eigentlich auch besondere Verantwortung dafür übernehmen. Und ein Weg, das auch zu tun, sind finanzielle Ausgleichszahlungen, um es Ländern des globalen Südens letztendlich leichter zu machen, auch durch diese Transformation des Energiesystems zu gehen. Und das ist schon mal ein total interessanter Perspektivwechsel anstatt "Was kann ich denn tun, um Deutschland so schnell wie möglich klimaneutral zu machen?" zu fragen: "Was wiederum kann die EU machen? Was kann Deutschland machen, um solche globalen Emissionsentwicklungen zu beeinflussen?" Das heißt, da wechsle ich schon mal die Ebene, auf die ich schaue. Und jetzt gucke ich in ein komplett anderes Feld. Das heißt, jetzt wähle ich ein komplett anderes Set an Zielen aus, als ich normalerweise getan hätte, wen ich mich auf inländische oder inner-EU-Emissionen fokussiert hätte. Und dann wäre aber der nächste Schritt zu fragen, auf welche dieser großen Emissionsquellen die EU dann Einfluss hat. Und dann wiederum zu fragen, was denn praktische Policies wären, also spezifische politische Maßnahmen, die auf diese Emissionquellen, also zum Beispiel die Entwicklung eines Energiesystems Einfluss hätten. Und dann wiederum: Welche davon sind denn gerade auch politische Maßnahmen, die sowieso demnächst entschieden werden und wo man vielleicht dann auch Einfluss darauf nehmen kann, wie wahrscheinlich es ist, dass so eine politische Maßnahme auch umgesetzt wird oder nicht. Und dann komme ich vielleicht am Ende zu Zielen - wir haben das schon für Deutschland gemacht und für die EU läuft das gerade noch -,von so bilateralen Klimapartnerschaften, wo Deutschland einem Land wie zum Beispiel Vietnam sowohl finanzielle Unterstützung zur Verfügung stellt, als auch Zugang zu bestimmten Technologien, Maschinen,etc., die man schwierig bekommen kann und Expertise, um in so einem Land, das gerade vielleicht vor allen Dingen auf fossile Energie setzen würde, Leute auch aus der Energiearmut raus zu bekommen. Und zwar um es letztendlich zu dem leichteren Weg und auch irgendwie attraktiveren Weg zu machen, stattdessen erneuerbare Energien auszubauen und das Energiesystem darauf zu basieren. Weil, wenn man sich erst mal entschieden hat, wie man das Ganze abdeckt und erst mal ein großes Kohlekraftwerk baut, dann muss das auch erst mal 40 Jahre laufen. Und dann läuft auch die Energieverteilung basierend auf solchen zentralen Energieträgern wie zum Beispiel einem zentralen Kohlekraftwerk, was eine relativ große Pfadabhängigkeit ist, sogenannte Lock In-Effekte. Aber wenn Deutschland zum Beispiel mehr Klimapartnerschaften eingehen würde, könnten wir erwarten, dass wiederum der Entwicklungspfad von solchen Energiesystemen anders verläuft. Und das hätte dann einen sehr, sehr, sehr großen Einfluss. Also wenn wir es mit einigen Ländern machen, hat man einen Einfluss, der auch das übersteigt, was Deutschland insgesamt emittiert. Und auf einmal bin ich von vielleicht dem Versuch, den Autobahnausbau  zu bekämpfen zu Klimapartnerschaften gekommen. Und ich kann auf einmal mit dem gleichen Level an Engagement, eine Emissionsminderungswirkung erreichen, die 1000 oder 10.000 mal so groß ist.

Sarah: Und wenn ihr solche Forschungsprojekte am Laufen habt, was ist da euer Ziel? Also im Organisationssinne? Was macht ihr dann damit?

Justus: Das ist natürlich auch auch Teil von den Informationen, die wir letztendlich auch der Öffentlichkeit bereitstellen. Und tatsächlich, die Ergebnisse von dieser Forschung kann man auch bei uns auf dem Blog finden, also futuremattersproject.org, und dann kann man den Blogartikel schon mal dazu lesen, was so die Ergebnisse sind und das zentrale Ergebnis ist halt in der Außenpolitik und bilateralen Klimapartnerschaften, also ein ganz, ganz vielversprechendes Ziel für Klimaschutz. Und das sind dann natürlich wiederum Informationen, die sich halt auch Think Tanks nehmen können und an diesem Thema arbeiten können. Und zum Beispiel Fridays for Future war auch eine Bewegung, der wir  mal auch vorgestellt haben, was wir so an Analyse gemacht haben zu internationaler Klimafinanzierung,  was also auch zusammenhängt mit diesen Partnerschaften, wo das, glaube ich, ein Faktor war, der dafür gesorgt hat, dass sie es mit aufgenommen haben in ihre zentralen Forderungen und jetzt auch zu diesem Thema arbeiten.

Sarah: Was du gerade gesagt hat, ist ja wahrscheinlich als Organisation ein schön messbares Ding, wo ihr vielleicht dazu beigetragen habt, dass Fridays for Future dahingehend Informationen zur Verfügung gestanden haben, mit denen sie etwas gemacht haben, sie in die Politik getragen haben, woraus dann eventuell konkrete Entscheidungen geworden sind etc. Wie evaluiert ihr eure Projekte denn überhaupt?

Justus: Eine Weise, wie wir das zum Beispiel machen, ist der Vorher-Nachher-Vergleich. Also wenn wir anfangen mit einer NGO oder so zu arbeiten, dann fragen wir: Was ist denn gerade euer aktueller Plan? Dann sagen die, wir haben folgendes Ziel und das können wir so ungefähr auf folgende Weise verfolgen. Und dann machen wir unsere Trainings mit denen und fragen dann nach einer Zeit, was ist denn jetzt euer Ziel? Und dann sagen die vielleicht, wir haben uns ein anderes Ziel ausgesucht. Dann sehen wir, das hat vielleicht hundertmal so viel Emissionsminderungwirkung. Und dann sagen sie, wir haben jetzt auch eine bessere Analyse gemacht. Wir haben erkannt, dass wir eher mit dieser Gruppe statt mit dieser Gruppe arbeiten müssen. Und auf einmal ist vielleicht die Chance, dass sie dieses hundertmal wertvollere Ziel erreichen, auch doppelt so hoch. Und dann haben wir einfach mal das Potenzial von so einem Akteur verzweihundertfacht.

Sarah: Und noch so ein Schritt weitergedacht. Also ich meine, das ist natürlich das gut Messbare, also das, was man sich einfach gut durch so einen Vorher-Nachher-Vergleich angucken kann. Aber ein bisschen übergeordnet ist bei sozialen Wandel ja auch einfach immer das riesige Problem, überhaupt zu wissen, was was gebracht hat. Also zum Beispiel ein ganz anderes Themenfeld: Beim Thema von Armutsverringerung, wo viele Länder es eben geschafft haben, dass es viel weniger extreme Armut bei ihnen gibt, ist es super super schwer herauszufinden, welche genauen Dinge jetzt eigentlich dazu geführt haben, dass es mehr Menschen besser geht, weil so viele Faktoren mit reinspielen und so viele Akteure und so viele Maßnahmen, die gleichzeitig passieren, und irgendwie noch so Umwelt und Politik. Und da ist einfach super schwierig herauszufinden, was wozu geführt hat. Und das ist ja bei den Themen des sozialen Wandels, also zum Beispiel Klimawandel, auch wahrscheinlich super schwierig. Also warum jetzt ganz genau die Politik, der Bundestag, ein Gesetz verabschiedet hat und es dann in Kraft tritt. Also welche genauen Sachen jetzt dazu geführt haben und welche einzelnen Akteure was bewirkt haben. Super schwierig. Wie bezieht ihr diese große Unsicherheit in eure Arbeit mit ein?

Justus: Also dieses Thema, wie evaluieren diese Akteure ihre eigene Arbeit. Das ist auch was, wo wir dann mithelfen und natürlich auch dran interessiert sind, was dann da am Ende draus wird. Und da geht es dann auch darum zu sehen, was sind denn zumindest starke Marker dafür, dass bestimmte Aktivität auch auch Ergebnisse gebracht haben? Das wäre ja zum Beispiel, wenn ich jetzt sage, als Think Tank schreibe ich irgendwie einen bestimmten Report und dann sehe ich, am Ende bringt ein bestimmter Abgeordneter, der vielleicht in einem Ausschuss Vorsitzender ist einen Vorschlag ein und der übernimmt in großen Teilen Ideen und zum Teil sogar Wortlaute von meinem Report. Dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass mein Report letztendlich die Grundlage dafür war, vielleicht auch diesen Vorschlag anzubringen. Und dann kann ich vielleicht auch mit dem Büro von dem Abgeordneten sprechen und fragen, woher denn die Idee kam. Und  vielleicht ist es dann nicht öffentlich, aber zumindest im direkten Gespräch sagendie dann, dass das für sie da schon eine wichtige Grundlage war. Und dann weiß ich halt, jetzt als NGO oder Think Tank, der sich entschieden hatte, an dem Thema zu arbeiten, dass ich jetzt tatsächlich über diese Aktivität letztendlich diese Debatte informiert habe und deshalb vielleicht etwas passiert ist, was sonst nicht passiert wäre. Und ich glaube, womit man da ganz gut arbeiten kann ist, dass man nie an dem Punkt kommen wird, wo man sagt, das wir das zu 100% verursacht haben. Aber man kann zumindest sagen, dass es eine 40%ige Chance gibt oder 60% Chance oder so - je nachdem, wie gut und konkret die Evidenz ist, die man einsammeln kann -, dass wir wirklich entscheidend beigetragen haben zu dieser Entscheidung. Und vorher mussten wir auch dokumentieren, dass die Debatte ungefähr so war, dass auf diesem Pfad, auf dem das Ganze war, diese Entscheidung wahrscheinlich nicht positiv ausgefallen wäre. Und was ich dann machen kann, ist die Wahrscheinlichkeiten zu aggregieren. Wenn ich irgendwie zehn Dinge mache, die jeweils eine 10%ige Wahrscheinlichkeit haben, werde ich, dann über längere Zeit hinweg, zumindest zu einer dieser Entscheidungen definitiv beigetragen haben, auch wenn ich am Ende nicht genau sagen kann zu welcher. Und das ist aber trotzdem eine lohnenswerte Aktivität. Weil wir sehen, es gibt mehr solcher Wandelarbeit und dann passieren auch bestimmte Dinge. Und in manchen Fällen wären die auch so oder so passiert, aber in vielen Fällen werden sie auch nicht passiert. Und ich glaube, wir können zwar nie für die eine einzige Entscheidung sagen, dass sie 100% wegen uns passiert ist, aber wir können darauf vertrauen, wenn wir häufig genug Dinge machen, wo wir einen direkten Zusammenhang herstellen können zwischen unseren Aktivitäten und dem Wandel in der Entscheidungsfindung, dass wir über viele Entscheidungen hinweg am Ende Veränderungen bewirken, die sonst nicht passiert wäre. Und häufig, weil diese Veränderungen, gerade wenn sie auf einer politischen oder systemischen Ebene sind, so groß und so wertvoll sind, reicht auch eine geringere Wahrscheinlichkeit pro Entscheidung, wenn ich das häufig genug mache, um am Ende doch ziemlich viel Wirkung zu haben.

Sarah: Du bist jetzt seit, wie gesagt, drei Jahren beim Future Matters Project als Mitgründer involviert. Könnt ihr inzwischen so ein typisches Problem ausmachen, mit dem Menschen oder Gruppen zu euch kommen? Also so eine Sache, bei der ihr festgestellt habt, dass es für echt viele Menschen, die Wandel bewirken wollen, ein riesiges Problem ist?

Justus: Ich glaube tatsächlich, so eine der häufigsten Fragen, die wir bekommen haben, war die: Worauf sollen wir uns genau konzentrieren? Ich glaube, die meisten Wandelakteure sind in so einem reaktiven Mindset: Es passieren die ganze Zeit Dinge, da muss man schnell noch irgendetwas machen, weil das entscheidet sich jetzt. Und denken dann wenig in so einem langfristig planerischen Mindset. Aber ich glaube letztendlich, auch wenn wir uns historische Beispiele anschauen, dass es immer wieder so etwas langfristig Planerisches war, was auch wirklich große Veränderungen bewirkt hat. Ich glaube deshalb, so ein typisches Problem ist es, an so zehn Projekten zu arbeiten und dann zu fragen, wie schaffen wir es, die alle gleichzeitig zu machen? Und dann ist vielleicht eher dieser Schritt zurück irgendwie auch wichtig. Diese Idee, dass vielleicht sind nicht alle Ziele gleich wertvoll sind. Vielleicht sollten wir uns auf eins konzentrieren. Villeicht sollten wir sogar keines dieser zehn Projekte machen, die wir gerade machen, sondern stattdessen überlegen, was langfristig die beste Strategie ist, um letztendlich auch zur Lösung des Problems beizutragen. Und dann die zweite Frage ist: Was sollen wir denn jetzt machen? Und dann fragen viele: Hier sind diese fünf Aktivitäten, welche davon sind aus der Forschungsperspektive jetzt am besten? Und ich glaube, da ist auch häufig unsere Antwort, dass es nicht die eine beste Methode gibt, um Wandel zu bewirken, sondern dass es verschiedene Werkzeuge gibt, die passend für verschiedene Probleme und für verschiedene Phasen von einem Wandelprozess sind. Und es ist dann eher, dass wir ihnen unsere Frameworks geben und sagen, dass sie das mal anhand von diesen Fragen, anhand von diesen Kriterien, durchdenken sollen und herausfinden sollen, welches Tool, welches Werkzeug, dann passend für das Problem ist, das sie gerade versuchen zu lösen. Und auch da ist häufig die Feststellung, hier passt eigentlich keins von den Tools, die wir bisher benutzt haben, eigentlich müssten wir was ganz anderes machen.

Sarah: Wir haben jetzt super viel über diese ganzen Tools, Werkzeuge, Strategie und so gesprochen und da möchte ich unbedingt noch auf einen eventuell etwas heiklen Aspekt zu sprechen kommen. Also das sind ja schon viele Werkzeuge, die man durchaus nicht nur für etwas nutzen kann, was wir jetzt vielleicht als positiven Wandel in der Welt bezeichnen würden, also zum Beispiel gegen Klimawandel anzugehen, sondern eben auch sehr gut verwendet werden kann, um negative Anliegen zu verfolgen. Also so dieses Dual Use Problem, dass es einfach unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten von Werkzeugen gibt und das eine klar positiv und das andere negativ sein kann. Und dazwischen gibt es auch noch super viel. Wie blickt ihr auf das Problem? Also passt du jetzt zum Beispiel gerade auf dass du nicht so sprichst, dass man deine Tools auch für total rassistische oder anderweitig schlechte Anliegen verwenden kann? Oder wie geht ihr mit diesem Dual Use Problem um und wie wichtig ist es euch auch, dass die Anliegen gut sind, in denen ihr Arbeit leistet?

Justus: Es ist uns total wichtig. Am Ende wollen wir nicht zu einer Welt mit mehr Leid und schlechteren Lebensbedingungen beigetragen haben. Und das ist natürlich schon eine relevante Frage. Und ich glaube, da ist auch so ein bisschen die Frage: In welcher Welt leben wir gerade? Und ich glaube leider, dass wir in einer Welt leben, wo einige Akteure, die zum Beis sehr nationalistisch und rassistisch eingestellt sind, zum Teil diese Tools leider schon sehr, sehr gut verwenden. Die schon schon kennen und auch benutzen. Es ist gar nicht so, dass in dieser Welt niemand von diesen Tools weiß, und wir jetzt sozusagen diese Werkzeuge in die Welt entlassen und schauen, was passiert. Sondern wo wir eigentlich schon bestimmte Gruppen haben, die die sehr, sehr gut und sehr strategisch nutzen. Und andere Gruppen, leider zum Teil auch viel bei eigentlich so wichtigen Themen wie Klimawandel und so, die vielleicht noch nicht genug dieser Werkzeuge verwenden. Was wir jetzt schon versuchen, ist, auch mit irgendwie Bewegungen, Akteuren, Think Tanks, NGOs zusammenzuarbeiten, von denen wir denken, dass die das jetzt gerade nicht nur als Show machen, dass sie sagen, sie wollen Klimawandel machen, aber eigentlich machen irgendwelche Dinge die Welt verschlechtern, sondern von denen wir denken, dass sie ernsthaft daran interessiert sind, dieses Problem zu lösen. Und mit unserem Wissen können wir auch dazu beitragen, sie in ihrem Engagement zu stärken. Wir arbeiten nicht einfach random mit allen zusammen, die an unsere Tür klopfen. Und was anderes ist halt so, wenn ich jetzt zum Beispiel hier bei diesem Podcast so etwas teile, dann denke ich mir so, wer hört diesen Podcast? Hoffentlich vor allen Dingen Menschen, die daran interessiert sind, positive Veränderungen zu bewirken. Und wenn ich so 95% diese Menschen mit ein bisschen Wissen ausstatte, kan ich es nicht komplett verhindern, dass am Ende auch ein paar Leute zuhören werden, die die Dinge bewegen wollen, von denen ich denke, dass sie die Welt schlechter machen. Aber wenn ich dafür sorgen kann, dass vor allem die Leute fähiger darin werden, was in der Welt zu verändern, die auch echt ein Anliegen daran haben, diese Welt zu schützen und zu verbessern, dann ist das insgesamt ein positiver Effekt und ein wertvolles Anliegen.

Sarah: Fühlt sich das bei der Arbeit selbst auch manchmal ein bisschen manipulativ an? Weil ihr denkt ja schon ganz konkret darüber nach, wie kann man die Meinung von Leuten ändern. Und man muss sich ja auch schon ziemlich sicher sein, dass die Sachen, die man selbst für gut hält... Also auch beim Thema Klimawandel ist ja längst nicht klar, was jetzt der richtige Weg ist und was vielleicht auch welche negativen Externalitäten haben könnte.

Justus: Ja, also es ist ja auch ein bisschen die Frage: Wie denkt man darüber nach und vielleicht auch wie würde man Manipulation definieren? Und ich glaube, Aspekte von Manipulation - und das ist dann auch etwas, was wir bewusst versuchen nicht zu machen und auch nicht an andere zu vermitteln, dass sie das irgendwie machen sollen - sind einmal intransparent zu sein über die eigenen Absichten. Ich verabrede ein Gespräch mit dir und sage, ich will mal mit dir über deine Zukunftspläne und welche Unsicherheiten du vielleicht hast sprechen. Und vielleicht will ich dann in Wirklichkeit Finanzprodukt verkaufen oder so. Das wäre ja intransparent sein über die eigenen Absichten, also eine Form von Manipulation. Und ich glaube, ein zweiter Aspekt von Manipulation wäre zu sagen, ich weiß eigentlich, dass ich ein Finanzprodukt habe, das dich in den Ruin treiben wird, aber ich verkaufe es dir so, als wenn es dich reich machen würde. Ich gebe dir falsche Informationen und tue Dinge zu deinem Schaden, die wiederum mich bereichern. Das wären zwei Aspekte von Manipulation und ich glaube, es ist eine andere Sache zu sagen, ich bin transparent in meinen Absichten. Und zwar spreche ich gerade mit dir, weil ich denke, dass Klimaschutz wichtig ist, und ich möchte das, dass wir mehr zu diesem Thema tun. Zum einen. Und zum anderen bin ich auch ehrlich und transparent, in einer gewissen Weise, in meinen Gründen, warum ich denke, dass es auch für dich ein wichtiges Anliegen sein sollte. Es ist ja nicht so, dass ich so tue, als wenn irgendwie...

Sarah: Dich das auch betreffen würde.

Justus: Genau, als wenn radikaler Klimawandel die Welt destabilisieren würde und es in Wirklichkeit gerade gar nicht so wäre und es in Wirklichkeit keinen Szenario gibt, in dem es für dich und deine Kinder wichtig sein könnte, diese Welt zu bewahren. Sondern ich gehe ja davon aus, dass  es tatsächlich eine Art von diesem Problem zu erzählen gibt, die auch für dich verständlich macht, warum das tatsächlich sachlich gesehen ein wichtiges Problem auch für dich ist.

Sarah: Und vielleicht auch noch einen Schritt weiter, dass die Lösung, die du dem vielleicht bisherigen Gegner anbietest, tatsächlich für ihn auch sinnvoll ist. Also wenn wir jetzt zum Beispiel bei diesem Thema von der ölfördernden Industrie sind und du nicht tatsächlich glaubst, dass es für diese Arbeitnehmenden eine gute Lösung gibt, dann würdest du ihnen das auch nicht verkaufen.

Justus: Ja, genau.

Sarah: Sondern man kommt dann schon mit Lösungen dahin, die man tatsächlich für machbar hält.

Justus: Absolut. Also erstens, nur das finde ich auch okay und zweitens, auch nur das funktioniert. Weil ich glaube, sobald du anfängst Vertrauen zu erodieren, indem du letztendlich Dinge erzählst, die nicht stimmen, entziehst du dir auch die Grundlage, um weitere Veränderungen zu erreichen. Ich glaube, es ist sehr, sehr wichtig auch nicht in dieses "Der Zweck heiligt die Mittel"-Denken zu kommen, weil das hat, glaube ich, so häufig auch schon dazu geführt, dass Leute, die vielleicht sogar wirklich gute Intentionen am Anfang hatten, zu so netto negativen Aktionen geworden sind. Und das wollen wir auch selbst auf keinen Fall irgendwie sein. Ich glaube aber, was halt wirklich auch letztendlich wichtig ist, ist zu sagen, was wir wiederum tun, ist ja auch nicht motiviert aus einem Wunsch nach Selbstbereicherung oder was auch immer. Sondern auch immer zu überlegen, was ist denn ein Kompromiss, was ist ein Pfad des Wandels, der auch wirklich für all die Menschen funktioniert, die diesen Wandel mitgehen müssen. Also letztendlich - und ich glaube, da unterscheidet sich eine dem Gemeinwohl verpflichtete Wandelarbeit auch von Lobbyismus - gehtes  darum, irgendwie ein kollektives Interesse wirklich in eine politische Arena oder so zu bringen, um in dem System, das gerade sehr kurzfristig an kurzfristigen Erfolgen ausgerichtet ist, eine langfristige Perspektive reinzubringen, die sinnvoll und die wertvoll ist.

Sarah: Guter Punkt, um zum Ende zu kommen. Die erste Frage: Jetzt über das Informieren hinaus, was können denn Menschen tun, um soziale Bewegungen selbst zu unterstützen oder um sozialen Wandel selbst zu unterstützen?

Justus: Ja, also ich glaube, dass generell Klimawandel ein super super interessantes Feld ist. Weil historisch eines der Dinge, die ganz, ganz viel gepusht wurden und die an sich auch einen Beitrag leisten, aber vielleicht nicht das wichtigste Werkzeug sind, was Leute individuell in der Hand haben, war, das eigene Konsumverhalten zu verändern. Aber was wir eigentlich brauchen, ist nicht in einer Welt zu leben, in der es viel leichter ist, Entscheidungen zu treffen, die letztendlich schlecht sind für das Klima; und gegen die bestehenden Anreize, gegen das bestehende System, versuche ich mich als Einzelperson die ganze Zeit durchzukämpfen und die moralisch besseren Entscheidungen zu treffen. Sondern es geht ja darum, letztendlich die Rahmenbedingungen zu verändern, das Spielfeld zu verändern. Und das ist wiederum eine Sache, die ich nicht nur in meinem Privatleben verändern kann, sondern dafür braucht es dann auch politisches und zivilgesellschaftliches Engagement. Und deshalb, glaube ich, ist häufig eine gute Sache, die ich machen kann, zu überlegen: In Deutschland haben wir ja dieses Prinzip von lokalen Abgeordneten und Direktwahl-Mandaten und das sind ja auch Leute mit denen man tatsächlich Gespräche vereinbaren kann. Man kann eine Email hinschreiben und dann kann man da hingehen. Und am besten mache ich das aber nicht alleine, sondern ich mache es vielleicht als Teil von einer größeren sozialen Gruppe. Und ich kann dann zum Beispiel diesen Blogartikel lesen, den wir auf unserer Webseite haben, und mich mal informieren, was gerade besonders wertvolle Ziele oder Anliegen wären, und mich vielleicht noch ein bisschen darüber hinaus informieren und dann überlegen: Was kann ich denn diese Person fragen, worum kann ich sie bitten oder worauf kann ich sie drängen? Letztendlich, wenn ich sage so, sprechen Sie mal mit den zuständigen Leuten in Ihrer Partei, dass das da mehr gemacht wird. Also kann ich letztendlich auf diese politische oder diese systemische Ebene gehen und kann ich das auch nicht alleine machen, sondern kann ich mich eigentlich Gruppen anschließen, NGOs, Bewegungen, was auch immer, die eine Theory of Change haben, die mich irgendwie überzeugt und die ich wiederum mit meinem Talent unterstützen kann. Das ist das direkte Engagement. Ein zweiter Aspekt ist, dass die Leute, die genau für solche Gemeinwohlinteressen arbeiten und kämpfen, häufig noch nicht so große finanzielle Ressourcen haben. Das heißt Spenden ist häufig auch ein weiterer Weg, einfach zu unterstützen, dass es Leute gibt, die sich da auch Vollzeit Gedanken zu machen können und deshalb noch mal ganz anders einsteigen können und auch gute Analysen machen können, wie wir auch bei solchen Themen vorankommen. Und ein dritter Weg, wenn man natürlich besonders entschlossen ist, kann natürlich auch sein, bei einer Organisation zu arbeiten, die entsprechend solche Arbeit macht. Also auch wir selbst schreiben ab und zu mal Praktika aus, ab und zu auch mal Stellen. Aber sich auch weiter umzuschauen: Wer sind denn wichtige Player im Klimaschutz und wonach suchen die eigentlich? Und häufig braucht man eine große Bandbreite von verschiedenen Leuten mit verschiedenen Fähigkeiten, um eine offene Organisation erfolgreich zu betreiben. Und vielleicht ist da auch etwas dabei, wo ich mit meinen Fähigkeiten gebraucht werde.

Sarah: Und wer jetzt doch erst mal ein bisschen mehr wissen möchte: Was können die Zuhörenden sich vielleicht angucken oder lesen oder anhören, um mehr über dein Themenfeld zu erfahren?

Justus: Also einen Forscher, den ich auch kurz erwähnt hatte, ist Cass Sunstein. Da gibt es beim "80,000 hours" Podcast eine interessante Folge, die heißt "How Change Happens". Und ich glaube, es lohnt sich schon, die auch mal anzuhören. Dann hatte ich Jonathan Haidt erwähnt und da gibt es einen Ted Talk, der schon sehr, sehr gut diese Forschung zusammenfasst, "The Moral Roots of Liberals and Conservatives". Was so ein bisschen auf die Frage eingeht, warum haben unterschiedliche Leute eigentlich unterschiedliche Positionen? Und ich glaube, es hilft wirklich sehr, über die Welt und die Gesellschaft nachzudenken. Und dann, wie erreiche ich verschiedene Leute? Es gibt eine Seite, campaignstrategy.org von Chris Rose, einem ehemaligen Greenpeace Campaigner, wo man viele praktische Tools findet, wenn es um konkrete Kampagnen geht, die man so machen kann. Und ich glaube, wenn sich jemand für ein konkretes Beispiel von einer sozialen Bewegung interessiert, die einen wirklich großen Wandel erreicht hat, "Blueprint for Revolution", das von der Otpor-Bewegung in Serbien erzählt und wie die es erfolgreich geschafft haben, die dortige Diktatur zu überwinden.

Sarah: Ja, das habe ich in der Vorbereitung auch gelesen, sehr empfehlenswert. Cool. Dann vielen, vielen Dank für das Gespräch!

Justus: Sehr gerne.

Sarah: War spannend. Danke.

Outro

Das war der Wirklich Gut-Podcast mit Justus Baumann! Die meisten Dinge, die wir erwähnt haben, findet ihr in den Shownotes. Eine Zusammenfassung des Gesprächs mit weiteren Infos findet ihr außerdem auf wirklichgut-podcast.de. Ich freue mich sehr auf Feedback per Mail an hallo@wirklichgut-podcast.de oder bei Twitter unter Wirklich Unterstrich Gut. Finanziert wurde der Podcast vom Effective Altruism Infrastructure Fund. Wenn ihr mir und meiner Arbeit weiter folgen wollt, vernetzt euch gerne mit mir persönlich auf Twitter oder LinkedIn. Vielen Dank fürs Hören!


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