Nr. 6
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Alex Holst über die Wissenschaft und Politik der Fleischalternativen

Alex arbeitet für das Good Food Institute in Brüssel. Die Organisation setzt sich dafür ein, dass es tierleidfreie und nachhaltige Alternativen zu konventionellem Fleisch gibt. Zum Beispiel durch pflanzliche Produkte aus Erbsen oder Soja; aber auch durch kultiviertes Fleisch, also echtes Fleisch, das nicht vom Schlachthof kommt, sondern in einem Fermenter, wie in einer Bierbrauerei, hergestellt wurde.

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In Folge 6 habe ich mit Alex Holst geredet. Alex und ich haben über die Probleme der Fleischproduktion geredet und vor allem darüber, wie es besser gehen könnte: Zum Beispiel mit pflanzlichen Alternativen, aber auch womöglich bald mit kultiviertem Fleisch. Wir reden außerdem darüber, wie Verhalten sich wandeln kann: Wie ändern Menschen ihre Gewohnheiten? Wie kann ein besseren Ernährungssystem aussehen?

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Die Themen

Wie geht Veränderung?

  • Alex: "Was ist die beste Theory of Change? Was sind die besten Schritte, die wir gehen können? Und die Antwort ist leider, dass Gewohnheiten umstellen extrem schwierig ist, extrem lange dauert und meistens nicht erfolgreich ist auf einer wirklich großen Skala.
    Im Bereich Elektromobilität hattest du das schon erwähnt. Natürlich brauchen wir eine Umstellung an Mobilitätskonzepten; mehr öffentlichen Nahverkehr, mehr Fahrrad. Aber ganz auf Elektroautos zu verzichten, auf Autos zu verzichten, ist politisch untragbar. Gerade in einem Land wie Deutschland und einfach auch auf der Zeitskala, in der wir diese radikale Veränderung brauchen, wenn wir an Klimawandel denken - technisch fast nicht möglich.
    Und ähnlich verhält es sich beim Fleischkonsum. Wir haben ja in Europa, in Deutschland, weltweit schon seit Jahrzehnten an NGOs und Aktivistinnen und Aktivisten, die Verzicht predigen und die auch Erfolge hatten. Und das ist wichtig. Aber wir sind immer noch bei 10 % Vegetariern und Veganern und der globale Fleischkonsum geht immer noch hoch. Der Fleischkonsum in Europa ist ungefähr stabil geblieben in den letzten 20 Jahren. Da müssen wir konstatieren:
    Einfach damit weitermachen reicht nicht, es braucht neue Ansätze und alternative Proteine können uns viel weiterbringen."
  • "Wir wollen nicht, dass pflanzliche Fleischalternativen ein hochpreisiges Signal-Produkt für Veganer und Vegetarier bleiben, sondern sie müssen erschwinglich sein. Und da sind wir noch nicht. Also wenn du in Supermärkte gehst: Die meisten pflanzlichen Fleischalternativen und gerade die, die qualitativ gut und geschmacklich ähnlich zu Fleisch sind - die sind oft noch relativ hochpreisig. Da muss die öffentliche Hand weiter investieren, damit die Preise runtergehen."
  • "Was wir wirklich als den wichtigsten Aspekt betrachten, um diese Industrie weiter voranzubringen, ist öffentliche Forschungsfinanzierung. Denn mit öffentlicher Forschungsfinanzierung kann die öffentliche Hand festlegen, dass die Ergebnisse der Forschung auch öffentlich verfügbar gemacht werden und so jedem zugutekommen können. Damit würde sozusagen der gesamte Sektor gefördert werden und nicht nur einzelne Unternehmen für sich den Wert steigern."

Was sind die Auswirkungen von Fleischproduktion?

  • "Die gesamte Tierhaltung macht global etwa 20 % aller Treibhausgasemissionen aus. Die Emissionen kommen von den Kühen oft als Methan Emissionen. Sie kommen aber auch von Emissionen, die mit dem Einsatz von Düngemittel in der Futterpflanzen Anbau verbunden sind. [... ] Wir sind in einer Situation, in der sich Deutschland und die EU politisch das Ziel gesetzt haben, bis 2050 klimaneutral zu sein. Da müssen wir an die Landwirtschaft ran. Die Landwirtschaft ist einer dieser dieser Sektoren, die schwierig zu dekarbonisieren sind. Es reicht nicht, einfach komplett auf Erneuerbare umzusteigen oder nur noch Elektroautos zu fahren."
  • "75 % der weltweiten landwirtschaftlich genutzten Fläche benutzen wir für Tierhaltung. Das ist Weidefläche; das ist aber vor allen Dingen Futtermittelanbau und das hat natürlich massive Auswirkungen auf Artenvielfalt, auch auf andere Umweltfaktoren. Wasserverschmutzung, Luftverschmutzung aus der Tierhaltung spielt eine große Rolle. [...] Wenn wir diese Fläche anstelle dessen für pflanzliche Proteine für menschliche Ernährung verwenden würden, dann hätten wir enorme Flächengewinne. Und wiederum da spielen die alternativen Proteine eine Rolle, weil sie enorme Flächen freisetzen würden. Die Flächen können wir dann nutzen, wie wir es als Gesellschaft für richtig erachten. Wir können sie renaturieren, wir können neue Lebensräume schaffen. Wir können aber auch sagen: Hey, wir brauchen so viel erneuerbare Energien, wir müssen unsere Windräder irgendwo bauen."
  • "In der intensiven Massentierhaltung leben sehr viele genetisch sehr ähnliche Tiere auf engstem Raum zusammen. Da haben es Viren sehr leicht, von Tier zu Tier zu springen, zu mutieren, wiederum in die Wildnis zu springen, zurückzukommen und so wirklich gefährliche Varianten entstehen zu lassen. Und dann gibt es ja Kontakt zwischen den Tieren in der Massentierhaltung und Menschen auf dem Hof, im Schlachthof. Kontakt mit dem Blut der Tiere, mit den Fäkalien der Tiere."
  • "Der andere große Faktor ist die Antibiotikaresistenz. Über die Hälfte aller Antibiotika, die wir als Menschheit einsetzen, geben wir nicht Patienten in Krankenhäusern, sondern geben wir in die Tierhaltung - und da haben wir einen großen Faktor, der die Entstehung von Antibiotika resistenten Bakterien begünstigt. Das ist ein Risikofaktor, der in Deutschland und in Europa immer noch zu wenig wahrgenommen wird. Die Weltgesundheitsorganisation hat vor ein paar Jahren mal gesagt, wenn wir weiter Antibiotika so verwenden wie heute, dann könnten wir in einer Situation sein in der Mitte des Jahrhunderts, dass es circa 10 Millionen Tote pro Jahr global gibt, nur wegen Antibiotikaresistenz."

Alternativen zu konventionellem Fleisch - kultiviertes Fleisch

  • Wie geht das? "Das Prinzip dahinter ist relativ einfach. Man entnimmt Tieren Stammzellen mit einer Biopsie und dann verwendet man diese Zellen, gibt sie in ein Nährmedium in einem großen Bioreaktor. Das ist ein großer metallischer Zylinder. Dort taucht man diese Zellen in ein Nährmedium, eine Nährlösung. Die brauchen die Zellen, um zu wachsen, brauchen ihre Nahrung, wenn du so willst. Sie brauchen noch Zuckerwasser, alle Nährstoffe, die auch unsere Zellen in unserem Körper brauchen. Und dort vermehren sich die Zellen. Das braucht ein bisschen Zeit, aber dann bekommt man so tatsächlich die Fleischmasse, die viele Menschen essen wollen. Und dann am Ende kann man, je nachdem was für eine Struktur das Fleisch Endprodukt erhalten soll, es noch verarbeiten und man hat echtes tierisches Fleisch. Also da ist nichts mehr mit Ersatzprodukt, das ist echtes Fleisch, aber halt ohne Tierhaltung, ohne Gülle, ohne Treibhausgase von der Kuh am und ohne Schlachtung."
  • Wikipedia: Fetales oder Fötales Kälberserum (FKS) wird aus dem Blut von Kuhfeten gewonnen und ist ein Hauptbestandteil vieler Nährmedien, die zur Aufzucht und Kultivierung von Zellen in der Zellkultur benötigt werden. "Dieses Serum kommt aus der Rinderschlachtung. Wenn schwangere Kühe geschlachtet werden, ist das ein Nebenprodukt. Das wird schon seit langem verwendet in der pharmazeutischen Industrie, in der pharmazeutischen Produktion und auch für die kultivierte Fleischproduktion im Laborstadium. Das ist einfach ein sehr nährreiches, energiereiches Medium, das für die Forschung verwendet wird. Was Unternehmen allerdings, die jetzt ihre Produktion hoch skalieren, machen ist, dass sie tierfreie Nährmedien entwickeln. Da gibt es enorme Fortschritte. Und ein Beispiel ist Mosameat, ein Startup in den Niederlanden, das gerade gezeigt hat, wie sie die tierischen Bestandteile in dem Nährmedium komplett durch pflanzliche ersetzt haben. Das ist einmal wichtig, weil wir natürlich mit kultiviertem Fleisch ein ethisches, Tierleid-freies Produkt haben wollen. [...] Es gibt aber auch ökonomische Gründe, warum Unternehmen in diesem Bereich auf FBS verzichten werden und zum Teil heute schon verzichten. Und das ist: es ist viel zu teuer. Das ist ein Stoff, der in der pharmazeutischen Industrie verwendet wird und die Preise sind so, dass es sich bei einer Produktion von kultivierten Fleisch einfach nicht rechnen würde. Also der ökonomische Druck alleine, der fordert es schon, dass Unternehmen da auf Alternativen umsteigen."
  • Andere Perspektive als die des Good Food Institutes und Alex - ist Produktion von kultiviertem Fleisch überhaupt skalierbar? Wahrscheinlich nicht, sagt Joe Fassler bei "The Counter": "For cultured meat to move the needle on climate, a sequence of as-yet-unforeseen breakthroughs will still be necessary. We’ll need to train cells to behave in ways that no cells have behaved before. We’ll need to engineer bioreactors that defy widely accepted principles of chemistry and physics. We’ll need to build an entirely new nutrient supply chain using sustainable agricultural practices, inventing forms of bulk amino acid production that are cheap, precise, and safe. Investors will need to care less about money. Germs will have to more or less behave. It will be work worthy of many Nobel prizes—certainly for science, possibly for peace. And this expensive, fragile, infinitely complex puzzle will need to come together in the next 10 years."

Alternativen zu konventionellen Tierprodukten - pflanzenbasierte Alternativen

  • "Wenn wir uns zum Beispiel die Kundinnen und Kunden von Beyond und Impossible anschauen, das sind eben nicht hauptsächlich Vegetarier und Veganer, sondern das sind Leute, die gerne Fleisch essen. Das wirkt erstmal seltsam, aber wenn man darüber nachdenkt, ist es vielleicht einleuchtend. Menschen, die schon Vegetarier oder Veganer sind, die haben oft schon ihren Frieden gefunden mit den den Linseneintöpfen und den den Pilz-Pattys. Aber das ist sozusagen gar nicht die Zielgruppe."
  • "Der Ansatz ist eben nicht Verzicht zu fordern, sondern der Ansatz ist, nachhaltigere ethische Produkte zu liefern, die keinen Verzicht brauchen. Wenn wir versuchen, allen Leuten in Deutschland, in Europa, in der Welt, in China am Verzicht zu predigen, damit wir ein nachhaltigeres Ernährungssystem schaffen, dann sehe ich schwarz für unser Klima, fürs Tierwohl und für andere Herausforderungen, die wir haben."

Alternativen zu konventionellen Tierprodukten - Fermentation

  • "Fermentation ist so ein Bereich, der sich manchmal unter dem Radar dieser ganzen alternativen Erfolgsgeschichten befindet. Und ich glaube, zu Unrecht! Fermentation ist nicht so sexy, weil Fermentation oft nicht ein direktes Endprodukt erzeugt. Fermentation als Prozess kennen wir schon seit langem, haben wir kulturgeschichtlich seit Jahrtausenden verwendet, um Bier zu brauen, Käse herzustellen, Joghurt. Die neuartige Anwendung von Fermentation für alternative Proteine ist technischer. Da können Mikroorganismen verwendet werden, um bestimmte Proteine, bestimmte Inhaltsstoffe, Enzyme direkt herzustellen. Man kann durch biotechnologische Verfahren Mikroorganismen programmieren, um zum Beispiel Milchproteine herzustellen und dann aus diesem Milchprotein echten Käse herzustellen, der keinerlei tierischen Inputs mehr bedarf."
  • "Das Paradebeispiel dafür ist der Impossible Burger. Ich hatte es schon erwähnt, Impossible sind bekannt in den USA und darüber hinaus für ihren pflanzlichen Burger, der wirklich ganz nah dran ist am tierischen Produkt. Und der Schlüssel-Inhaltsstoff ist ein Protein, das aus einem Fermentationsprozess kommt. Dieser Inhaltsstoff gibt dem Burger wirklich das fleischartige, also die rote Farbe, das fast blutartige im Geschmack - und das ist das, was am Fleischesser an diesem Burger so mögen."
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